Max Glauner
Dieter Roth
»Selbste«
Aargauer Kunsthaus, Aarau, 18.8. – 6.11.2011
Die Gegensätze sind eklatant. Am Anfang der Ausstellung Dieter Roth – Selbste im Kunsthaus Aargau stehen zwei Schwarzweißfotografien aus dem Berner Kunstmuseum. Gerademal achtzehnjährig portraitiert sich der angehende Werbegrafiker Dieter Roth sitzend, hager, den Oberkörper selbstbewusst zurückgelehnt, die schmalen Hände in den Schoß gelegt. Bei aller Souveränität, die das Selbstportrait vermitteln will, wirkt es, 1948 entstanden, seiner Zeit entsprechend konventionell, der junge Mann, als wäre er einer Zeichnung Egon Schieles entsprungen. Ein halbes Jahrhundert später, beziehungsweise neun Ausstellungssäle weiter, verschwindet der Künstler im Rauschen der Kanäle. Dieter Roths kurz vor seinem Tod 1998 fertiggestellte monumentale Arbeit Solo Szenen stapelt in drei hohen Wandregalen 128 Videomonitore, die den einsamen greisen Künstler ohne jedes zeitliche oder narrative Kontinuum in seinen häuslichen Verrichtungen gnadenlos exhibitionieren. Über Wochen und Monate mit fest installierten Kameras dokumentiert, sieht man den alten, fettleibigen Mann mit Bart und Brille am Schreibtisch, im Bad, oder in der Küche hantierend, in 128 Szenen kritzelnd, dösend, kramend, alles zugleich auf den Mattscheiben flimmernd, übertönt von einer Klangwolke sich überlagernder Alltagsgeräusche. Dieter Roth erscheint omnipräsent und in seiner Omnipräsenz zugleich abwesend. Der eingangs gezeigten Innerlichkeit und angestrengten Konzentration des jungen Mannes steht hier die Exhibition des alten gegenüber, der sich in einer subkutanen Anverwandlung obendrein als Wiedergänger des Doyen Schweizer Kunst Max Bill geriert.
Vor seinem Antritt als Leiter des Bündner Kunstmuseums in Chur ist dem stellvertretenden Direktor des Aargauer Kunsthauses Stephan Kurz mit Dieter Roth – Selbste eine hellsichtige monografisch-thematische Ausstellung gelungen, die…