Michael Stoeber
Dies Alles gibt es also
Zum Werk von Olav Christopher Jenssen
Vorbilder vergessen
1992 ist das annus mirabilis in der Karriere des norwegischen, zu der Zeit bereits seit zehn Jahren in Berlin lebenden Künstlers Olav Christopher Jenssen. Er ist 38 Jahre alt und wird mit Bildern aus seinem Werkzyklus „Lack of Memory“ von Jan Hoet zur Documenta 9 nach Kassel eingeladen. Dort teilt er sich zusammen mit Brice Marden und Jonathan Lasker einen Raum, der ein qualitativer Höhepunkt dieser Weltausstellung der Kunst ist. Danach ist der Name des Malers fest im Gedächtnis des Kunstfreundes verankert, sind Jenssens Bilder Teil seines musée imaginaire. Zwei Jahre später, Ende 2004, zeigt die renommierte Kestnergesellschaft in Hannover die Bilder des Künstlers aus den letzten vier Jahren. Kein Werk aus den Jahren davor. Die Ausstellung beginnt mit den Gemälden der „Lack of Memory“-Serie (1990-92). Auf ihren Titel trifft wie auf kaum einen anderen das Wort zu: Nomen est omen. Der Titel ist Programm – und oft missverstanden worden. Jenssen malt hier nicht, wie häufig angenommen, das Phänomen des Gedächtnisverlustes. Die Werkserie heißt nicht „Loss of Memory“, sondern „Lack of Memory“. Es geht nicht um verlorene, sondern um fehlende Erinnerung. Es geht um weiße Flecken auf der Landkarte des Gedächtnisses, die zustande kommen, weil man sich nicht mehr erinnern will, nicht, weil man es nicht kann. Eine selbst befohlene Amnesie. Mit Ihr bricht das Reich der Freiheit an. Man kappt die Bindungen zur Vergangenheit, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, unwichtig geworden sind. Genau das hat…