Die zukünftigen Intellektuellen werden wohl Offiziere sein.
EIN INTERVIEW VON VITUS H. WEH MIT BORIS GROYS ÜBER KÜNFTIGE VERSCHWÖRUNGSGESELLSCHAFTEN, DEN TERRORANSCHLAG VOM 11. SEPTEMBER UND SEIN BUCH “UNTER VERDACHT. EINE PHÄNOMENOLOGIE DER MEDIEN”
In der Erinnerung besteht der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das WTC in New York vor allem aus zwei visuellen Loops: 1) Immer und immer wieder bohrt sich ein Flugzeug in einen gewaltigen Monolithen. 2) Immer und immer wieder stürzt dieser Monolith in sich zusammen. Das Geschehen wurde von allen Medien so grundsätzlich aufgefasst, dass es letztlich keine Rolle spielt, ob es sich nun um einen oder zwei Türme handelte. Ähnlich essentialistisch war dann auch die offizielle Wortwahl für das rauchende Trümmerfeld, das von ihnen übrig blieb: “Ground Zero”.
Sowohl für den bohrenden Wiederholungszwang der Medien als auch die Wortwahl der Politik gibt es Boris Groys zufolge eine Erklärung, die in unserer gegenwärtigen “Verdacht-Kultur” begründet ist. Ausgehend von einem generellen paranoiden Verhältnis, das wir unseren Archiven gegenüber haben, würden wir die Wahrheiten eben in tieferen Schichten, im submedialen Raum suchen. Dabei erweist sich dann, dass die Wertschätzung, die wir beispielsweise für ein schwarzes Quadrat von Malewitsch hegen, mit der Hysterie, mit der wir uns vor verschlüsselten Video-Nachrichten von Osama bin Laden fürchten, eng verwandt sind. Beides Mal wird hinter einer scheinbar alltäglichen Oberfläche ein Geheimnis vermutet. Die gesamte Kunst der Gegenwart lebt von diesem Prinzip des Verdachts.
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Vitus H. Weh: Herr Groys, Ihr Buch “Unter Verdacht” hat durch den Terroranschlag von New York eine überraschende Bestätigung erfahren. Was hat es…