Die Wohltemperiertheit des Kunstwerks
Zu Michael Ashers Projekten
Von Hans Rudolf Reust
Wer Kunstinstitute besucht, erwartet Ausstellungen. Seit dem 19. Jahrhundert sind unzählige Verfahren erprobt worden, um Kunst und Leben, “high and low culture” ineinander zu überführen. Dennoch ist die Ideologie bis heute ungebrochen, daß unter dem Vorzeichen “Ausstellung” zumindest ein besonderer Wahrnehmungsmodus einsetzt. Er bildet die Voraussetzung für den Choc, den Michael Ashers Arbeit in der Kunsthalle Bern nach wie vor auslöste. Wer im Oktober oder November 1992 die Kunsthalle betrat, sah sich unvermittelt in seiner einfachsten Erwartung getäuscht:
Die zentrale Stelle der Kunstwerke besetzt ein ansonsten möglichst dezent gehaltenes Element aus der Infrastruktur des Hauses: die Heizkörper. Im Eingangsraum sehen sich die Besucherinnen und Besucher mit einer strengen Anordnung verschiedener Radiatoren konfrontiert, die fühlbar in Betrieb sind. Optisch dominant ist ein oktopusartiges, aber perfekt im Winkel verlegtes Rohrsystem, das Vor- und Rücklauf der Radiatoren mit ihren ursprünglichen Anschlüssen in den sechs weiteren, ansonsten kahlen Ausstellungsräumen verbindet. Dort gähnen leere Nischen in der Wand und geben einen punktuellen Einblick in die gemeinhin kaschierte Geschichte des Baus frei. Stellenweise erscheint noch die erste graue Bemalung von 1918. Die beiden auffällig verkleideten Heizkörper beim Eingang sind an ihrer gewohnten Stelle belassen worden. An ihnen richtet sich schließlich die Konstellation der konzentrierten Heizkörper aus. Maßstäblich wiederholt sie den Grundriß aller sieben Säle, die für Ausstellungen genutzt werden, während die Heizkörper der Büro- und Werkräume an ihren Standorten verbleiben.
Ashers Anteil an dieser technisch aufwendigen Verschiebung beschränkt sich im wesentlichen auf das Skizzieren einer so schlicht formulierten…