Christian Huther
Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990
Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main, 21.6.-14.9.2008
Fundación Juan March, Madrid, 10.10.2008-11.1.2009
Ein wunderbar hellblaues Bild leuchtet dem Betrachter entgegen. Aber da beginnt schon das Problem. Um was geht es eigentlich? Nur um Farbe? Oder um das Meer, den Himmel, die Luft? Mindestens vier Lesarten gibt es für Ilya Kabakovs Gemälde von 1970. Der russische Künstler hat in den Bildecken je einen Kommentar einer fiktiven Person notiert. Links oben meint Inna Sergejewna Tropina lapidar „Das ist ein See“, von links unten tönt Sergej Michailowitsch Lewschuks Parole „Das ist frische Luft“, während rechter Hand zwei weitere Personen um Himmel oder Meer streiten. Eine normale Erfahrung: Jeder sieht etwas anderes in einem Bild. Nur ist das in diesem Fall schwieriger. Wer des Russischen nicht mächtig ist, muss erst die Übersetzung lesen, um den ironischen Bildwitz zu verstehen. Eine anspruchsvolle Ausstellung, die viel Zeit zur Lektüre erfordert. Aber der Aufwand lohnt sich allemal. Denn die Frankfurter Schirn Kunsthalle gibt erstmals einen systematischen Überblick über die Moskauer Konzeptkunst von 1960 bis 1990.
Einzelausstellungen von Kabakov, Erik Bulatov, Komar & Melamid oder Boris Mikhailov gab es schon mehrfach seit dem Fall des Eisernen Vorhanges. Auch eine nicht ganz so detaillierte Schau 1995 in Ludwigshafen, Kassel und Altenburg widmete sich der russischen Konzeptkunst und der Soz-Art, allerdings nur bestückt aus dem Moskauer Zarizino-Museum und kuratiert von jenem Andrej Jerofejew, der kürzlich als Leiter der Sammlung moderner Kunst der staatlichen Moskauer Tretjakov-Galerie entlassen wurde. Doch die jetzige Frankfurter Schau mit 130 Werken ist eine letzte Seh-Chance,…