Martin Seidel
Die Stadt, die es nicht gibt
»Bilder globaler Räume«
Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen, 22.9.2012 – 17.2.2013
Jungen stehen auf den „Rochers Carrés“ genannten Betonblöcken der Mole von Bab El Oued, dem ärmsten und problematischsten Viertel der algerischen Hauptstadt. Sie blicken aufs Meer – erinnern an Caspar David Friedrichs Rückenfiguren und machen dem Betrachter deutlich, dass sie nicht hier sind, weil sie es so gewollt und entschieden haben. Das Sehnen in Kader Attias (1970, F) C-Prints kommt für den Betrachter perfiderweise ziemlich idyllisch und in einer nicht hinterfragten Schönheit der Bilder daher. Dabei geht es den Jugendlichen wie den Lesern von Gottfried Benns Gedicht um die „tiefere Stadt, / wo man Wunder und Weihen / immer als Inhalt hat“, vor allem aber um die reichere Stadt, die Stadt hinterm Horizont, auf dem andern Kontinent, im andern Land.
Was die Jungen, sollten sie je aufbrechen, anderswo erwarten könnte, ist vielfach zu sehen in der Ausstellung im Ludwig Forum Aachen, die da heißt „Die Stadt, die es nicht gibt“. Die Fototableaus und Videos von Tobias Zielonski (1973, D) etwa vermitteln entlarvende Einblicke. In einfühlsam hartem Realismus zeichnen sie in Porträts von Menschen und Orten ein Bild zerschlagener Utopien in den Banlieues von Marseille. Auch die einst gut gemeinten Behausungen der Vele di Scampia im Nordosten Neapels bieten alles andere als das bei Benn erhoffte „ewige Manna“ für die erlittene „Wüstennot“ der dort lebenden Migranten. Nach Abrissarbeiten sind von sieben vier Wohnkolosse verblieben. Sie bilden eine „Stadt“, einen Ort, der seine Utopie des…