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Magazin: Publikationen · von Claudia Benthien · S. 490 - 490
Magazin: Publikationen , 1998

Die Sensualisierung der Vernunft

Kunstvolle Wissenschaft

Die an der University of Chicago lehrende Kunsthistorikerin Barbara Stafford ist hierzulande bereits eine Berühmtheit, obwohl Kunstvolle Wissenschaft ihr erstes Buch ist, welches auf deutsch vorliegt. Stafford ist Mitbegründerin jener kunsthistorischen Schule, die gegenwärtig eine umfassende Bildwissenschaft fordert. Denn der durch die Medienentwicklung ausgelöste Iconic turn, von einer Schriftkultur hin zu einer visuell orientierten Gesellschaft, fordere “Bildexperten”, welche sich nicht nur mit den künstlerischen Produkten der Hochkultur, sondern fortan mit allen kulturellen Bildphänomenen zu befassen haben. Diese Forderung hat Stafford in ihrem Buch Body Criticism, ebenso wie in der vorliegenden Studie beispielhaft eingelöst: Neben das klassische Tafelbild und die künstlerische Druckgraphik setzt die Autorin zeitgenössische medizinische Abbildungen, mathematische Schemata oder Darstellungen physikalischer Phänomene. Ihr reich ausgestattetes Buch bietet eine Überfülle an variantenreichen Bilddokumenten, die sie miteinander vernetzt und erklärt.

Kunstvolle Wissenschaft untersucht das für die europäische Aufklärung typische Prinzip, “durch Unterhaltung zu unterrichten”. Ausgehend von der These, daß die heutige Unterscheidung zwischen Kunst, Technik, Wissenschaft und Populärkultur im späten 18. Jahrhundert überhaupt noch nicht existent war, stellt Stafford dar, welch schmale Grenzlinie zunächst zwischen Volksunterhaltung und Naturwissenschaft bestand. Wissen wurde im wesentlichen als visuelles Spektakel, als anregendes Entertainment vermittelt. Wie man im frühen 18. Jahrhundert glaubte, spielte die Sinnesnehmung eine zentrale Rolle bei Erkenntnisprozessen, so daß der sensuellen Komponente zunächst eine tragende Rolle bei der Wissensvermittlung zukam. Insbesondere auf die Schaulust der Zuschauer wurde rekurriert, etwa wenn Forscher und Experimentatoren öffentliche Versuche am eigenen Leib exerzierten (z. B. die grausamen Selbst-Elektrifizierungen Rabiqueaus). Derartige Demonstrationen, die sich oft…

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von Claudia Benthien

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