Ute Thon
Die Schönheit der reinen Form
»Total Risk, Freedom, Discipline« – Abstraktion im 20. Jahrhundert
Guggenheim Museum, New York, 9.2. – 12.5.1996
Anfang dieses Jahrhunderts, genauer gesagt 1912, begann Wassily Kandinsky in München schwarze Bögen und filigrane Linien auf farbige Hintergründe zu malen, in Moskau setzte Kasimir Malewitsch ungefähr zur gleichen Zeit rote Quadrate auf weiße Felder, und in Paris pinselte Piet Mondrian plötzlich regelmäßige Gitterstrukturen auf seine Leinwände. Eine Revolution. Die abstrakte Malerei, eine neue, bahnbrechende Kunstrichtung, war geboren. Zwar sollten sich Kritiker und Chronisten in den kommenden Jahren immer wieder über Ursprung, Definition und korrekte Benennung des Phänomens streiten. Doch eines war den neuen Bildern ganz offensichtlich gemeinsam: Sie repräsentierten kein wiedererkennbares Motiv mehr, erweckten anders als kubistische Werke nicht einmal die Ahnung eines konkreten Bezugs zur Wirklichkeit. Sie waren gegenstandslos. Für viele Betrachter war das damals ein Schock. Und für manche ist es das heute immer noch.
Keine Entwicklung hat die zeitgenössische Kunst mehr beeinflußt als diese Abkehr von der figürlichen Abbildung, vom wiedererkennbaren Bild hin zum abstrakten Gegenstand. Um so erstaunlicher also, daß es fast ein ganzes Jahrhundert dauern mußte, bis ein führendes Museum endlich eine Übersichtsschau zur Entwicklung der abstrakten Kunst von ihren Anfängen bis heute organisiert. Die Aufgabe fiel schließlich in die Hände des New Yorker Guggenheim Museums, eine ehrenvolle Pflichtübung, wurde das Guggenheim doch 1939 als “Museum of Non-Onjective Painting” gegründet. Die Ausstellung zeigt 136 Arbeiten von 49 Künstlern aus Europa und den Vereinigten Staaten. Der Titel “Total Risk, Freedom, Discipline” (Totales Risiko, Freiheit, Disziplin)…