BIRGIT RICHARD
Die oberflächlichen Hüllen des Selbst
MODE ALS ÄSTHETISCH-MEDIALER KOMPLEX
“Vor etwa drei Jahren sahen wir einen langen Jüngling auf der Königsstraße uns entgegenwallen, dem etwas wie eine Glocke oder Waschschüssel um die Knötchen schlampte. Wird wohl ein Mexikaner sein, dachten wir, denn die Spanier drüben in Amerika tragen ja längst dies non plus ultra der Tulpenhose. Bald aber sah man einen zweiten, dritten, vierten, und die absurde Mißform war Mode.
… Warum, im Namen aller guten Geister der Wohlgestalt, warum kann das Mannsvolk nicht bei den einfach richtigen mäßig weiten Hosen verharren, die der Dürre noch etwas erweitern, der Elefantenfüßler noch etwas verengen kann?”
(Friedrich Theodor Vischer, 1879)
Klagen über die Moden als visuelle Unruhestifter und törichte Eskapaden ließen sich aus den letzten Jahrhunderten permanent zitieren. Auch die theoretische Beschäftigung mit der Mode hat eine lange Tradition, die im 20. Jahrhundert in Untersuchungen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen kulminiert unter anderem soziologisch-philosophische (z.B. Rene König 1967, Georg Simmel 1901) oder semiotische (Barthes 1985), um nur drei der bedeutendsten zu nennen. Selten wurde die Mode, die eines der wichtigsten Repräsentationsmittel des Menschen darstellt, allerdings eingehend auf ihre ästhetisch-medialen Implikationen hin untersucht.
Das erstaunt um so mehr, da die Gestaltung des Selbst, Self-Fashioning und -Design, einen immer größeren Raum in der gegenwärtigen Gesellschaft einnimmt und das quer durch alle Einkommensschichten. Aus der gestiegenen Bedeutung der unmittelbaren ästhetischen Ausschmückung des Selbst mittels schon “vorgestalteter” Kleidungs-Segmente entsteht eine neuartige “profane Kreativität” (vgl. Paul Willis 1981, Begriff der “profane culture”).
Besonders die jeweils aktuellen Jugendmoden werden, die sonst im günstigsten Fall als Frischzellenkur…