Hermann Pfütze
Die Neuen Hebräer
»100 Jahre Kunst in Israel«
Martin-Gropius-Bau, 20.5. – 5.9.2005
Der stärkste Kontrast dieser umfassenden Ausstellung zur Geschichte der modernen israelischen Kultur ist ihr Auftakt: Im monumentalen Treppenhaus des Martin-Gropius-Baus, noch vor dem Eingang zur Ausstellungsetage, läuft auf Großleinwand ein Rundflug-Film über die steinerne Natur des Landes. In schwindelerregendem Tiefflug, wie im klassischen Pubertätstraum, geht es durch schroffe Canyons, über den Negev, an den Felsenklöstern des Sinai vorbei, über Wüsten und an Abstürzen entlang auf Hochplateaus zu, die von römischen und mittelalterlichen Ruinen bekränzt sind. Dazwischen kaum Zeichen heutigen Lebens; gelegentlich Saumpfade und Autospuren, oder in der Ferne schemenhaft Palmen und grüne Rechtecke bewässerter Erde. Dieser Rundflug ist der Traum souveräner Bewegungsfreiheit in den Grenzen der Fliehkraft, vermutlich ist der Film aus einem Militärflugzeug aufgenommen worden.
In der Ausstellung wird man sogleich, im “Raum des Tränenkrugs”, mit einem Fluchtbild extrem unfreier Bewegung konfrontiert: dem riesigen, düsteren Gemälde “Der wandernde Jude” von Shmuel Hirszenberg aus dem Jahr 1899. Ein nur mit Lendenschurz bekleideter Ahasver flieht mit panischem Blick, aber kräftigem Laufschritt durch einen Golgatha-Wald aus hohen Kreuzen und am Boden liegenden Toten. Das Bild dieses ewig Verfolgten ist umgeben von alten Schwatz-Weiß-Fotografien und von Pastellzeichnungen Abel Panns, die jüdische Opfer russischer Pogrome um 1905, im ersten Weltkrieg und während des Bürgerkriegs zwischen 1917 und 1921 dokumentieren, und von einer Acrylbilder-Serie des Malers Avner Ben Gal von 2001 mit dem Titel “The Eve of Destruction”, die in lichtlosen, trüben Farbtönen Invaliden, verbrannte Erde und Zerstörung thematisiert. Das einzige Rot sind der…