Lothar Romain
Die neue kulturpolitische Frage
Einige Politische Anmerkungen
Man muß feststellen, daß die materielle Absicherung des Kulturbetriebs sich umgekehrt proportional zu der Aufmerksamkeit verhält, die der Kultur heute entgegengebracht wird. Anders gesagt: während die finanzielle Decke immer dünner wird und vielerorts schon größte Löcher aufweist, spricht man landauf landab in einer wahren Inflation von Bekenntnissen über die Bedeutung von Kultur und ihre existentielle Notwendigkeit für diese Gesellschaft.
Die sechziger Jahre haben, wiewohl mit einem üppigen Kulturleben ausgestattet, politisch im Zeichen der Bildungspolitik gestanden. Wenn man damals von Kulturpolitik sprach, so meinte man eigentlich Bildungspolitik. Man glaubte, die viel beschworene Emanzipation des Bürgers einseitig über einen Ausbau der schulischen und beruflichen Bildung erreichen zu können. Die traditionellen Kulturbereiche wie Theater, Musik, bildende Kunst usw. betrachtete man trotz Gegenbeteuerungen als luxuriöse Freizeitgestaltung und als solche klassenspezifisch, zur Abgrenzung geeignet anstatt zur Solidarisierung. Daß inzwischen gerade diese Gebiete sich zu immer wichtigeren Bastionen für die kreative Entfaltung des Individuums gegenüber den funktionalen Zwängen einer technischen Gesellschaft entwickelt haben, wird auch heute nur als Lippenbekenntnis gerne wiederholt, in den praktischen Konsequenzen aber nicht ernst genommen. Es mag viele Gründe haben, daß Kulturpolitik heute wenn nicht in aller, so doch in vieler Munde wieder geführt wird. Einmal die falsche Enttäuschung darüber, daß der Bildungspolitik rasche Erfolge versagt blieben, haben die Suche nach neuen Betätigungsfeldern verstärkt, dann gewiß die nostalgische Welle am Anfang der siebziger Jahre, als die Schwaden der politischen Unruhe sich verzogen (besser: vertrieben wurden) und viele sich als Ersatz nach etwas Schönem sehnten, schließlich aber…