Gernot Böhme
Die Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
I. Einleitung
Walter Benjamin hat 1936 einen Aufsatz veröffentlicht, der seither, besonders aber seit seiner Veröffentlichung in deutscher Sprache 1955, die Diskussion um den Unterschied von klassischer und moderner Kunst wesentlich bestimmt hat. Sein Titel lautet: “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit”.1 Benjamin konstatiert in diesem Aufsatz, daß die Kunst – er denkt primär an bildende Kunst – durch ihre technische Reproduzierbarkeit im “Kern” getroffen sei. Im “Kern”, d. h., daß nicht etwa bloß das Wie und Was künstlerischer Produktion verändert werden – wie ja beispielsweise die moderne Malerei nicht ohne die Tatsache denkbar ist, daß ihr in der Fotografie ein Konkurrent im Feld der Bilder erwachsen ist -, sondern daß, was überhaupt ein Kunstwerk ist, verändert werde, und zwar einschließlich der Mona Lisa. Benjamin führt dabei nicht aus, welche Reproduktionstechniken er allgemein in Betracht zieht, er denkt – zeitbedingt – an Foto, Film, Schallplatte. Indem er aber von der technischen Reproduzierbarkeit redet, grenzt er sich jedenfalls von der immer schon bestehenden handwerklichen ab und faßt eine Perfektionierung der Reproduktion ins Auge, die nicht nur die Herstellung eines weiteren Exemplars einer Gattung, sondern die eine Wiederholung des Individuums ermöglicht. Was durch solche Techniken getroffen wird, ist die “Echtheit”, wie Benjamin sagt, die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit des Originals und deshalb die mit ihm verbundene Würde.2 Benjamin mag 1936 schon geahnt haben, in welchem Maße wenig später Originale der europäischen Kunst und Geschichte zerstört werden würden. Wir jedenfalls haben uns nach 1945 daran gewöhnt,…