Fallstudien zum Wertewandel III:
Georg Bussmann
Die Moral von der Geschicht’. Ein Vorschlag zur Güte.
»Menschheit ist eine humoristische Rolle.«
Novalis
Bevor es so etwas gibt wie ein kulturelles Vergessen, gibt es ein kulturelles Übersehen, ein Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen, ein Wissen, aber Nicht-wahrhaben-Wollen. Spricht man solcherart Übersehenes aus, so erscheint dies stets wie selbstverständlich und nicht im geringsten originell, trotzdem kann es gelegentlich befreiend wirken.
“Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. Es geht nicht ohne Hilfskonstruktionen… Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend geringschätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgendetwas dieser Art ist unerläßlich… Die Ersatzbefriedigungen, wie die Kunst sie bietet, sind gegen die Realität Illusionen, darum nicht minder psychisch wirksam dank der Rolle, die die Phantasie im Seelenleben behauptet hat… Wer für den Einfluß der Kunst empfänglich ist, weiß ihn als Lustquelle und Lebenströstung nicht hoch genug einzuschätzen. Doch vermag die milde Narkose, in die uns die Kunst versetzt, nicht mehr als eine flüchtige Entrückung herbeizuführen und ist nicht stark genug, um reales Elend vergessen zu machen… Das Glück in jenem gemäßigten Sinn, in dem es als möglich erkannt wird, ist ein Problem der individuellen Libidoökonomie.” Sigmund Freud schreibt das 1930, und er vermerkt an einer Stelle, daß er “bei keiner Arbeit so stark die Empfindung gehabt habe wie diesmal, daß ich allgemein Bekanntes darstelle, Papier und Tinte, in weiterer Folge…