Hermann Pfütze
Die Kunst verschwindet in der Gesellschaft –
die Ausstellung »2-3 Strassen« von Jochen Gerz während der »Europäischen Kulturhauptstadt« Ruhr 2010.
Jochen Gerz wurden in Dortmund, Duisburg und Mülheim insgesamt 57 sanierte Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt für das Kunstwerk „2-3 Strassen“. Aus 1.457 Bewerbungen setzten sich in sechs Auswahlrunden schließlich 78 Teilnehmer durch, die ein Jahr lang in diesen Wohnungen mietfrei leben und arbeiten. Bedingung ist, sich den Nachbarn bemerkbar zu machen und an der kollektiven Chronik mitzuschreiben. Dafür sind in allen Wohnungen Labtops mit einem Zentralcomputer verbunden. Gerz nennt es eine Ausstellung, deren Bewohner und Besucher Teil des Kunstwerks sind, das am Jahresende vorbei ist und zugleich unbestimmbar weitergeht. „2-3 Strassen“ sind für alle Beteiligten ein Erlebnis, nicht nur ein Ereignis, mithin eine soziale, ästhetische und ökonomische Alternative zur Event-Kultur. Was sind Erfahrung und Begriff dieses unsichtbaren Kunstwerks und seiner sozialen Kreativität?
Im Mai und wieder im September 2010 habe ich in Mülheim am Böcklerpark, in Duisburg-Hochfeld und in Dortmund am Borsigplatz mit zwanzig Teilnehmern längere Gespräche geführt. Etwa ein Drittel sind Frauen, zwei Drittel Männer. Der Jüngste war 19, der älteste 69, die Mehrzahl ist unter 35 und hat ihre bisherigen Wohnungen aufgegeben. Aus den handschriftlichen Gesprächsnotizen wird ohne Namensnennungen zitiert.
1. Das unsichtbare Kunstwerk
Im Frühjahr 2007, im Entwurf seines Vorhabens1, schrieb Jochen Gerz: „Der Unterschied zwischen Kunst und Gesellschaft wird kleiner“, weil „beider Verhältnis zur Zukunft ähnlich ist. Die Strassen werden mit allem, was Teil davon ist und dazu gehört, zu einer Ausstellung.Was in den Strassen geschieht,…