Michael Lingner
Die Krise der »Ausstellung« im System der Kunst
Kunst läßt sich heute nicht mehr als ein Bereich begreifen, der sich gleichsam außerhalb der Gesellschaft befindet und ihr als etwas ganz Anderes und Besonderes gegenübersteht. Zwar ist die Entwicklung der modernen Kunst durch ihre immer weitergehende Autonomisierung bestimmt worden. Aber ebendieser Prozeß hat schließlich auch dazu geführt, daß die Kunst zu einem selbständigen gesellschaftlichen System und damit zu einer “Eigengesellschaft”1 geworden ist. Wesentliche, von ihr einst als negativ empfundene Merkmale des Gesellschaftlichen weist sie nun selbst auf. Die Autonomie der Kunst ist infolgedessen weniger von außen als vielmehr von innen her bedroht.
Das Kunstsystem steht nicht mehr von vornherein konträr zu seiner Umwelt. Vielmehr teilt es das Schicksal der modernen Gesellschaft, die ebenfalls durch eine zunehmende Ausdifferenzierung und Verselbständigung aller ihrer Teilbereiche gekennzeichnet ist. Das System Kunst kann daher seine Autonomie nicht mehr im klassischen, etwa von Adorno formulierten Sinn als “Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber”2 gewinnen und behaupten, sondern nur noch als “Verselbständigung in der Gesellschaft”.3 Ihre bisherige wichtige Funktion als “kritische Außenstelle der Gesellschaft”4 büßt die Kunst infolgedessen zwangsläufig ein. Jede Verweigerungshaltung schlägt fortan auf sie selbst zurück.
Auf dem inzwischen erreichten Stand an Autonomie und Ausdifferenziertheit läßt sich die Kunst heute nach der systemtheoretischen Analyse des Soziologen Niklas Luhmann als ein “autopoietischer Funktionszusammenhang” beschreiben. Mit dem ursprünglich aus der Biologie stammenden Begriff der “Autopoiesis” wird das Reproduktionsprinzip von Systemen beschrieben, welche “die Elemente, aus denen sie bestehen, durch die Elemente, aus denen sie bestehen”5, produzieren. “Eine solche Transformation von Elementen…