Markus Brüderlin
Die Kolonisation einer alten Metropole
Der österreichische Kunsttopos und das Architektonische
Denn was ist die Sprache? Sie ist das Vermögen der Ideen, nichts weiter: Also Sätze aneinanderreihen. Wenn man das richtig macht – aber niemand weiß, was das ist – wenn man das richtig macht, dann werden das Ideen sein.
Jean Francois Lyotard
I
Dieser Aufsatz befaßt sich mit einem in der österreichischen Kunsttheorie noch kaum beachteten, aber eigentlich nicht zu übersehenden Phänomen: – dem Einfluß des Urbanen und Architektonischen auf den österreichischen Kunsttopos – Gemeint sind die Beziehungen zwischen dem »urbanen Gefäß Wien«, als ein vielschichtiges semiotisches, ästhetisches und psychologisches System, das die Totalität des menschlichen Lebens abbildet und der Kunst, die in diesem Gefäß entstand und entsteht.
Als motiv- und ideengeschichtliche Grundkonstante des nationalen Kunsttopos wurde von Theoretikern immer wieder ein genuin expressionistisches Verhalten der Kunst, das sich in einer exzessiven Körperbezogenheit (Werner Hofmann beschrieb es programmatisch mit: »Fleisch erkennen«), anhand von Kokoschka, bis zum Aktionismus1, in einer psychologisierenden »Lust am Leiden«, oder in einem notorischen Hang zum Regressiven (vgl. Helmut Draxler »Zur Inthronisation des goldenen Kalbes«) »auslebt«. Unberücksichtigt blieb aber bisher die Rolle des Urbanen und Architektonischen. Eine der Anregungen zu dieser interdisziplinären Sichtweise ist die beeindruckende, oft auch bedrückende Präsenz des urbanen Ambientes und die Macht der Tradition: angefangen von der universalistischen Bildprogrammatik des Barocks und dessen schwellender Körperlichkeit, der Theatralik der historistischen Fassadenkultur, dem kulinarischen Luxus des paradiesischen Jugendstils und im Widerpart dazu die puristische Verzichtsästhetik eines Adolf Loos, oder auch nur die drückende Schwere dieses überalterten…