Die imaginäre Vedute
Das zeichnerische Werk von Leon Krier und seine architekturgeschichtliche Tradition
von Jan Pieper
Vor Jahren war in New York eine berühmte Ausstellung zu sehen, die nachhaltig auf das Architekturverständnis der sechziger und siebziger Jahre eingewirkt hat: Paul Rudofskys “Architecture Without Architects”1. Großartige Architekturen aus den Bautraditionen der verschiedensten Völker wurden da vorgeführt, Architekturen für Tiere, Wind- und Wasserbauten, architektonische Fassungen von Naturelementen und andere Baugedanken, die die Moderne vergessen hatte, oder auch Bau- und Siedlungsformen, wie von der Hand der großen Meister gebildet, die ganz den ästhetischen Absichten der Nachkriegsavantgarde zu entstammen schienen und doch ohne Plan oder Entwurf, ohne einen irgendwie greifbaren Baukünstler aus der anonymen Kreativität des Volkes erwachsen waren: eine Architektur also, die ohne die Hand des Architekten und ohne das Medium seines Denkens – die Zeichnung – entstanden schien.2
Jetzt war in New York wieder eine Ausstellung zu sehen, die ähnliche Aufmerksamkeit verdient wie damals “Architecture Without Architects” und die zudem so etwas wie deren thematisches Gegenstück darstellt, nämlich den “Architect Without Architecture”: Leon Krier “Drawings 1967-1980”. Wir sehen wiederum den ganzen Reichtum der Architektur vor uns, ein Spiel von Formen und Baugedanken voller Poesie, wie sie selbst die großen Zeitgenossen mit all der Freiheit, die der Ruhm schafft, kaum noch in die triste Wirklichkeit hineintragen können, aber dies alles bleibt architektonischer Gedanke, wird nicht Architektur selbst, und dies ganz bewußt. Was hier in der Zeichnung vor uns steht, versteht sich als vollendet, als abgeschlossenes Werk, das für sich steht, ohne je gebaut werden zu wollen, als…