Lothar Schmidt-Mühlisch
Die Hinrichtung der documenta 6
oder: Die verstimmten Gralshüter der Avantgarde
Sechs Thesen zur Situation der Kunstkritik in Deutschland
Man war sich eigentlich schon vorher einig: Die Kasseler ‘documenta 6’ konnte gar nichts werden. Nachdem Eduard Beaucamp zu Beginn des Jahres in der FAZ das ‘Ende der Avantgarde’ verkündet hatte, trauten sich plötzlich alle Besserwisser aus ihren Schmollwinkeln hervor. Da wußte plötzlich sogar der ‘Spiegel’ von einem ‘frustrierten Betrachter- und Sammlerpublikum’ zu berichten, das – man glaubte seinen Augen kaum zu trauen – nicht etwa an der eigenen Verblödung litt, sondern an der ‘ausgedünnten Avantgarde-Kunst’. Die Schützenhilfe kam sogar international. Der alternde Clement Greenberg verkündete in einem Interview mit der WELT: ‘An die Werke der Avantgarde muß man die gleichen Maßstäbe anlegen wie an ein Werk von Raffael.’ Wie sich die Zeiten ändern!
Nun, da es Mode war, der ungeliebten Avantgarde die Leviten zu lesen, brach auch die lange wohlgehütete Allianz aus Kritikern, Ausstellungs-Machern, Künstlern, Museumsdirektoren und Galeristen zusammen. Da fürchtete zum Beispiel der jahrelang beinahe als päpstlicher Nuntius der Avantgarde fungierende Karl Ruhrberg schon vorher die zu erwartende Prügel und zog sich aus dem documenta-Komitee zurück. Da gab es gewaltige Krache hinter den Kulissen, Beleidigungsklagen, Prozesse. Und da pinkelten sich die Kritiker-Stars gegenseitig ans Bein. Laszlo Glozer rief gegen Beaucamp sogar den ungeliebten Werner Hofmann in den Zeugenstand: ‘Wer die Frage nach den Ursachen der Flaute im Ton der Anklage an die Künstler richtet, bellt den falschen Baum an.’
Womit man beim Thema wäre. Haltet den Dieb! Das hört sich ja aufs…