Die Grenzenlosigkeit der Skulptur
von Sabine B. Vogel
I. Entgrenzungen
Der Boden vibriert. Die Luft ist staubig. Entsetzlicher Lärm erfüllt den Raum. Zwölf Betonmischer stehen in einem Kreis angeordnet, rotieren langsam und schleudern Steine hin und her. Zur Absicherung ist ein Holzboden eingezogen, der die Vibration auffängt. „Clockwork“1 nennen die Künstler JULIUS VON BISMARCK (1983, Deutschland) und JULIAN CHARRIERE (1987, Schweiz/Deutschland) ihre Installation in dem ehemaligen Post- und Telegrafenamt in Wien. Für ihre „inszenierte Auflösung von Architektur“ sammelten sie in einer nächtlichen Aktion Ziegel und Steinbrocken von verschiedenen Gebäuden und Baustellen. „Wie der Fluss die Kiesel, zermahlen und schleifen die Maschinen lärmend im hypnotisierenden Rhythmus die Stadt rund. Im Kreislauf, Stoß für Stoß malen sie ein erodiertes Bild unserer Welt.“2 Wir stehen mitten in diesem „Bild“, die Vibration geht durch unseren Körper, der feine Steinstaub umgibt uns, wir tragen ihn mit unserer Kleidung in die Stadt. Nichts weniger als unser gesamter Erfahrungsraum ist eingebunden in den Vorgang einer brachialen Destruktion.
Die Betonmischer zerstören eben jenes Material, um das sich in der Bildhauerei so vieles dreht: Stein. Aber handelt es sich hier um eine Skulptur? Muss nicht eher von einer Installation gesprochen werden? Dieser Begriff kommt dann ins Spiel, wenn keine klare Trennung zwischen Form und Raum möglich ist oder keine eindeutige Kategorisierung zutrifft. So passend der Terminus ist, so unzufrieden allerdings sind viele KünstlerInnen damit – zu vage erscheint es ihnen. In den Interviews in diesem Band betonen einige, ´Skulptur´ vorzuziehen bzw. darauf auf keinen Fall verzichten zu wollen. Was genau damit bezeichnet wird,…