vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Titel: Parasitäre Paradoxa · von Jakob Wirth · S. 74 - 81
Titel: Parasitäre Paradoxa ,

Die Genealogie eines Begriffs: Der Parasit auf Weiterreise

von Jakob Wirth

Parasit, Schmarotzer, Schädling – unsere Vorstellungen vom Parasiten sind zumeist mit Ekel und Abschaum besetzt und oft auch mit Angst vor ihm verbunden. Hollywood-Bilder und Science-Fiction-Szenarien, die von gefährlichen Parasiten erzählen, sowie gesellschaftliche Narrative des Schmarotzers, der auf Kosten von Anderen lebt, sind allgegenwärtig. Im Unterschied zum zoologisch verstandenen Begriff der Moderne, der mit bestimmten Bildern oder auch eigenen Parasiten-Erfahrungen (Zecken, Würmer, Läuse) einhergeht, stammt der Begriff „ Parasit“ etymologisch ursprünglich aus einer Tradition der Antike, in der er eine konträre, aber geachtete gesellschaftliche Position einnahm. In welchen Etappen sich dieser radikale Wandel des Parasiten-Begriffs durch die Jahrhunderte nagte und welche Potenziale er für Gegenwart und Zukunft birgt, möchte ich hier nachgehen.

Antike

Der Ursprung des Begriffs „Parasit“ liegt in der griechischen Antike und bezeichnete mit  Απαρασιτοζξ (Parásitos) = Parasit einen „Mitesser“,1 „Bei-esser“ bzw. „neben jemandem essen.“2 In der antiken griechischen Gesellschaft war Parasitos ein Gottes-Diener, der gemeinsam mit dem Priester das Mahl mit der Gottheit zu sich nahm und sich dabei „para“ = nahe des „sitos“ = dem heiligen Getreide, dem Essen (der Gottheit) befand. So beschrieb der Parasit damals einen gewählten Verwaltungsbeamten einer Gemeinde auf Zeit,3 der Gemeinschaftsvorhaben des Tempels initiierte und koordinierte. Er lebte von einem kleinen Anteil des Getreides, das er für die Gottheit eintreiben musste und war nicht in die gesellschaftliche Ökonomie der Selbstversorgung eingebunden.

Um regelmäßig von seinem Wirte leben zu können, lebt der Parasit im allgemeinen in ständigem Kontakt mit ihm, entweder auf seiner äußeren Oberfläche oder…

Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei