Ingo Arend
Die Erinnerung der Orte
Eine Tagung der evangelischen Akademie Loccum
Unsere Erinnerung knüpft immer an Orte. Johann Wolfgang von Goethe sprach 1797 in einem Brief an Friedrich Schiller, in dem er seine Symboltheorie entwickelte, von dem Kapital der Orte. Auch wenn das Haus seiner Großeltern, so schrieb Goethe, durch Krieg zerstört worden sei, könne man aus dem Schutthaufen so etwas wie ein unsichtbares Kapital als “Beute davontragen” – so wie Silber aus einem Bergwerk. Jeder kennt das Kapital eines Ortes, das Goethe meinte. Etwa wenn er zu dem Ort zurückkehrt, wo er das erste Liebesherz in einen Baum schnitzte oder als Kind zur Schule ging: Symbolisches Kapital, Erinnerungs- und Identitätskapital.
Glaubt man dem Geheimrat, sind solche Orte gleichsam aus sich selbst heraus bedeutsam. Doch die Tagung der evangelischen Akademie Loccum erinnerte daran, daß erst der Mensch mit seinem Blick die symbolische Kraft der Orte schafft. Solche projektionsgeladenen Orte oder sakrale Landschaften können geschichts- und erinnerungsmächtige Kraft entwickeln. Das turmbewehrte Inselschloß Chillon am Genfer See, nahe Montreux, sah der Oldenburger Kunsthistoriker Detlef Hoffmann erst durch die romantische Dichtung eines Lord Byron 1816 und die Malerei Gustave Courbets zum symbolischen Erkennungzeichen Schweizer Freiheitsliebe wachsen. Auch die ganze Topographie der heiligen Stätten in Palästina ist pure Fiktion. Für die biographischen Episoden der Herren Jesus und Mohammed hat man nachträglich nach Orten gesucht. Und doch bilden sie bis heute den harten Identitätskern von Staaten und Gemeinschaften.
Deren kulturelle Identität bildete sich zunächst über monumentale Bauwerke wie die ägyptischen Pyramiden, die an die goldene Urzeit und die…