DIETMAR KAMPER
Die Entfernung der Körper.
Ein Menetekel
1. Das Wort “Entfernung” wird hier in einem mehrfach changierenden Sinne verstanden. Einerseits meint es die neueste gesellschaftliche Tendenz, alles Entscheidende körperlos zu organisieren, bezieht sich also auf die ebenso reale wie symbolische Liquidation der menschlichen Körper, zuletzt auf die Beseitigung der Leichen, die mit einer Inflation der Körperbilder einhergeht. Andererseits meint es den bereits bekannten, seit Jahrhunderten wirksamen, wachsenden Abstand der Menschen voneinander, der teilweise erlitten, teilweise gewollt und propagiert wurde, nun aber mit Verlustanzeigen übersät ist. Das Menetekel ist seit langem eine Art “memory”, geht zurück auf eine Weltordnungsformel des jüdischen Altertums, derzufolge die Welt geordnet sei nach Zahl, Maß und Gewicht, derzufolge also jede einseitige Ordnung mehrseitige Unordnungen produziert. Das Menetekel heute beschreibt in Um- und Grundrissen die desaströsen Folgen einer bloßen Ordnung des Zählens. Denn – wie jeder weiß – auch das Maß und das Gewicht wird gezählt, was unzulässig, weil verheerend, ist.
2. Entfernung heißt nicht Widerruf der Ferne (wie etwa Enttäuschung Aufhebung der Täuschung heißt), sondern endgültige, unwiderrufliche Ferne: Entfernung von allem Körperlichen, unter den Bedingungen des toten, fast leeren Weltraumes. Wo immer Menschen eine derartige Situation beschreiben, greifen sie…