1. Emanzipation versus Tradition: Krise der Archive?
Die Ent-Ikonisierung und
Re-Ikonisierung der Schrift
Von Aleida Assmann
Schrift und Bild – Lesbarkeit und Erkennbarkeit
Den Medien Schrift und Bild entsprechen zwei unterschiedliche Rezeptionsformen: Schriften werden gelesen, Bilder werden erkannt. Während der Kode, der Schrift lesbar macht, erst förmlich erlernt werden muß, kann das, was auf Bildern dargestellt ist, in der Regel spontan identifiziert werden. Dabei kann das auf Bildern Dargestellte ebenso schematisiert sein wie ein Schriftzeichen; darauf kommt es nicht an. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Medien und ihren Rezeptionsformen liegt darin, daß Schrift eine Einzelsprache abbildet, während Bilder außereinzelsprachliche Gegenstände und Sachverhalte repräsentieren. Aus diesem fundamentalen Unterschied ergeben sich bestimmte Konsequenzen.
1. Der Umgang mit Schrift setzt – anders als der Umgang mit Bildern – eine doppelte Kompetenz voraus: Zeichenkompetenz und Sprachkompetenz; zunächst muß man wissen, daß die Zeichenkombination “H a u s” für die Lautfolge “Haus” steht, und ferner, daß diese im Deutschen den Grundtyp eines Gebäudes indiziert. Ein Rechteck mit Tür und Fenstern, Dach und Schornstein ist dagegen sprachenunabhängig zu erkennen, auch wenn die Wiedererkennbarkeit an gewisse Grenzen stößt, da Häuser überall auf der Welt andere Formen haben und die Wahrnehmungsbedingungen sowie die Darstellungskonventionen grundsätzlich kulturell konditioniert sind.
2. Die Lesbarkeit von Schrift beruht auf einem erlernbaren Kode, der einen geschlossenen Bestand an Graphemen mit einem geschlossenen Bestand an Phonemen eindeutig korreliert. Die Erkennbarkeit von Bildern beruht dagegen auf einem grundsätzlich offenen Repräsentationssystem, dessen Zeichenvorrat unerschöpflich erweiterungsfähig ist und dessen Referenzbereich ebensowenig als ein geschlossenes System strukturiert ist.
3. Daraus ergibt sich, daß Bilder immer dann…