Michael Hübl
Die eine grosse fehlerfreie Welt
Was der Abriss einer schwedischen Kirche mit Charlotte Roche und der Wonderbra-Bortox-Ideologie zu tun hat
Bella Italia. Wenn auf der Apenninhalbinsel ein Kirchengebäude nicht mehr gebraucht wird, wenn bei einem Gotteshaus kein Bedarf mehr besteht, Beichten abzunehmen und Messen zu lesen, wenn keine Gesänge mehr erschallen und keine Weihrauchdüfte mehr in den Altarraum steigen, dann sucht man in Italien nach einer weniger heiligen Nutzung für den Sakralbau. Bevorzugt Autowerkstätten: Gotik und Getriebeöl, Renaissance und Radkappen oder Barock und Bremsbeläge gehen offenbar ganz gut zusammen. Auch Kunstereignisse finden in solchen Gemäuern Platz: Am 1. Juni 1977 hat Hermann Nitsch in der damals längst aufgegebenen, heute zur Aula Magna der Universität umgebauten Kirche Santa Lucia, Bologna, Via Castiglione, das “requiem für meine frau beate” als 56. Aktion seines Gesamtouvres inszeniert. Wenn sich aber niemand findet, der das profanierte Gebäude übernehmen will, dann nagelt man von innen ein paar dicke Bohlen an die Portale, schlingt man draußen ein paar Vorhängeschlösser um die Türgriffe und überlässt ansonsten das Bauwerk sich selbst. Mut zum Unvollkommenen ist angesagt, und dieser Mut gehört nicht nur zur Auflösung von Kirchen, sondern auch zu ihrer architektonischen und dekorativen Aufrüstung: Die Basilika San Petronio, ebenfalls in Bologna, sollte einst an Pracht und Größe Sankt Peter in Rom übertreffen, aber dann reichte es nicht einmal für die komplette Fassadenverkleidung. Anders als der Kölner Dom, der bis in das späte 19. Jahrhundert hinein ebenfalls Fragment blieb, wurde San Petronio nie fertiggestellt.
Bei der Neuen Kirche unweit…