Michael Hübl
Die Chronologie der Teresa Burga
»Subversive Praktiken«
Berichte, Diagramme, Intervalle
Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 30.9.2011 – 8.1.2012
Kunst kann, was die Preisgabe persönlicher Daten betrifft, ähnlich gefährlich sein wie Facebook. Jedenfalls wenn man so vorgeht wie Teresa Burga. Dann wird – wie bei den Einträgen ins Social Network – ein Handlungsprofil ableitbar. Aus einer ihrer Zeichnungen etwa ist zu ersehen, dass Burga am 19. April 1974 vormittags um 10:35 h mit der Arbeit an einem Blatt begann und bis in den frühen Morgen des darauffolgenden Tages dran blieb. Offensichtlich wollte sie das kleine grafische Werk unbedingt fertigstellen, denn die peruanische Künstlerin gönnte sich kaum Pausen; die längste dauerte von 13:30 bis 14:00 h.
Burga widmete ihre langen Stunden der schematischen Darstellung eines Bergwerks. Minutiös hat sie Schächte und Stollen, Loren und Förderkörbe wiedergegeben, selbst winzig kleine Steiger sind zwischen den gegeneinander verschobenen Gesteinsschichten zu erkennen. Die mit Bedacht und Sorgfalt umgesetzte Bleistiftzeichnung wirkt wie die paradigmatische Zusammenfassung der Intentionen und des ästhetischen Ethos, dem Teresa Burga folgte, solange sie noch künstlerisch tätig war. Nicht, dass sie Novalis nacheiferte, der aus Minen und Mineralien romantische Einsichten extrahierte. Es ist auch nicht so, dass die Beschäftigung mit bergmännischen Themen Burgas Werk bestimmte. Aber das rund 16,5 cm hohe und knapp 22 cm breite Blatt kann als Metapher stehen für Teresa Burgas Gründlichkeit und das Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen und so weit in die Tiefe zu bohren, bis alle Fakten vorbehaltlos auf dem Tisch liegen. Wie zur Bekräftigung dieser Absicht hat…