MICHAEL HÜBL
DIE BLINDE GEGENWART
AMERIKANISCHER PAVILLON UND AMERIKANISCHE POLITIK
1.
Eine Pressekonferenz vor dem amerikanischen Pavillon der Biennale di Venezia ist wie ein Gottesdienst im Freien: fortwährende Danksagungen im beseelten Brustton von Predigern. Ob National Endowment for the Arts (NEA), Rockefeller Foundation oder Peggy Guggenheim Collection, Venice – sie alle lösen bei den Verantwortlichen Reflexe der Begeisterung aus: “really delighted to be here”, “there is no better group as”, “they are incredible partners and I am very grateful”, “I have to thank also”. Zwischendurch gab es an diesem 13. Juni 2003 auch noch ein Dankeschön fürs Danken: “Thank you for the thanks”, und es folgten weitere Institutionen, die mit Dankesadressen versehen wurden, bis jemandem auffiel: “I haven’t even mentioned the artist yet.” Richtig, da war ja noch Fred Wilson. Er vertritt die USA auf der Biennale. Danke auch an ihn.
Wo so viel Dankbarkeit herrscht, sind Stolz und Freude nicht weit. Die Überzeugung, Wilsons Beitrag werde in die Geschichts- und Kunstgeschichtsbücher eingehen, wurde ebenso geäußert wie die Hoffnung, mit der venezianischen Präsentation werde ein Beitrag zu wechselseitigem Verständnis geleistet und der Abbau von Klischees befördert. Doch selbst wenn die Waffen schweigen, bedarf es offenbar der Angriffsziele: “Attack stereotypes” lautete das Motto. Zu den Intentionen der Kunst und zu den Inhalten, Absichten, Problemen, die hinter der Ausstellung stehen, kein Wort. Einzig der Künstler äußerte sich zu der eigens für die Biennale konzipierten Ausstellung “Speak of Me as I Am” und legte die Prämissen offen, nach denen er vorgegangen war. Vater US-Amerikaner, Mutter aus der…