Die Ästhetische Dimension
»Niedere« gegen »hohe« Fotografie
Von Joachim Schmid
Eines der so bemerkenswerten wie erstaunlichen Phänomene in der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst ist die im Lauf der vergangenen Dekade etablierte Selbstverständlichkeit der Fotografie. Man sollte sich – um diesen Schritt angemessen zu würdigen – kurz daran erinnern, daß fotografische Arbeiten als Gattung noch Anfang der achtziger Jahre erhebliche Legitimationsprobleme hatten und nur vereinzelt im Kontext der Kunst geduldet waren. Zwar erfreute sich die reine Fotografie der Fotografen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sowie deren theoretisches Korsett eines regelrechten Booms (um anschließend wegen struktureller Schwächen in sich selbst zusammenzufallen), doch wurde dieses vorläufig letzte Aufblühen der konventionellen Fotografie unfreiwillig in geschlossener Gesellschaft gefeiert; Künstler hatten daran nur einen geringen Anteil und die der Tradition verpflichteten Agenten des Kunstbetriebs ebenfalls.
Während im Mittelpunkt des prosperierenden Gewerbes die fotografischen Qualitäten standen, blieb sein Kunstanspruch zweifelhaft – zu Recht, denn er beruhte auf schlichter Behauptung. Entscheidend für diesen Anspruch war die nachdrückliche Abgrenzung von allen Formen der gewöhnlichen Fotografie, die als maßgebliche Kulturtechnik des 20. Jahrhunderts die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt und damit auch unser Verhältnis zu Fotografien jeder Art determiniert. Doch unterscheidet sich die “hohe Kunst” der Fotografie von der allgegenwärtigen, in den Niederungen des Trivialen angesiedelten Normalfotografie – wenn man die Umstände von Produktion und Präsentation versuchsweise außer acht läßt und sich nur auf die Bilder konzentriert – in erster Linie durch ihre handwerkliche Präzision. Die vornehmlichen Merkmale der “guten” Fotografie heben diese oberflächlich zwar deutlich von ihrem alltäglichen Gegenstück ab, doch handelt es sich…