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Gespräche mit Philosophen · S. 198 - 201
Gespräche mit Philosophen , 1986

Die Ästhetik des Verschwindens

FRAGEN AN PAUL VIRILIO VON FLORIAN RÖTZER

Französische Theoretiker werden in Deutschland gelegentlich als Irrationalisten bezeichnet. Verstehen sie sich als Irrationalist?

Die ‘Irrationalisten’ (ich denke dabei auch an Lyotard, Baudrillard und viele andere) stellen in Frankreich eine Minderheit dar. Es gibt keine Schule des Irrationalismus, vielmehr handelt es sich um ein Getto, in das verschiedene Individuen eingeschlossen sind, gettoisiert von der Mehrheit der französischen Denker und Philosophen. Es ist also eher ein Außenseiter-Position, und das meine ich nicht pejorativ. Ich beanspruche für mich dieses Außenseitertum und auch dieses Getto, gerade weil Frankreich noch immer das Paradies des Cartesianismus ist. Das gilt für die Moral und auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen: trotz der 68er Ereignisse, trotz einer gewissen Bewußtseinsveränderung ist die Atmosphäre noch vom Rationalismus beherrscht und geradezu verunreinigt, von einem Rationalismus übelster Art.

Ich sage es immer wieder: ich bin kein Philosoph. Ich bin lediglich Urbanist, und ich denke, Urbanisten sind ebenso wichtig wie Philosophen. Ich will mich damit nicht herabsetzen, sondern gleichstellen, will uns Urbanisten zu Ende dieses Jahrhunderts auf eine Stufe stellen mit den Philosophen. In Begriffen wie Rationalität und Irrationalität denke ich gewöhnlich nicht, und ich beziehe mich auch kaum jemals auf Philosophen: es kommt vor, aber dann so, wie ich auch einen Dichter oder Romanschriftsteller zitiere. Für mich gehört die Philosophie zur Literatur und nicht umgekehrt; die Poesie, die Literatur ist das Ursprünglichere. Als Architekt und Urbanist gerate ich in Konflikt mit den Philosophen: wenn ein Architekt oder ein Urbanist eine architektonische oder urbane Struktur zu…

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