DIRK KLADNIK
Die Ästhetik des Kadavers
ZU DEN KREUZIGUNGEN VON FRANCIS BACON
Ich war schon immer sehr berührt von Bildern, die mit Schlachthäusern und Fleisch zu tun hatten. Für mich gehören sie sehr stark zu dem ganzen Thema der Kreuzigung.1
Oft hat der Autodidakt Francis Bacon in den Interviews, die David Sylvester binnen fast zwei Jahrzehnten mit ihm führte, auf seine Obsession für frisch geschlachtetes Fleisch hingewiesen. Dass er nun derart opulent kolorierte Fleischstücke, die sowohl vom Menschen wie auch von einem Tiere stammen könnten, in seine Kreuzigungs-Triptychen platziert, mag zunächst etwas blasphemisch erscheinen. Bei Bacon hat das Thema der Kreuzigung vorwiegend jedoch keinen christlich-ikonographischen Charakter: “Für mich als Nichtgläubigen war sie […] ein Akt menschlichen Verhaltens, das Verhalten eines Wesens einem anderen gegenüber.”2
Das Faktum einer Kreuzigung ist für Bacon, dass sich ein gezielter Tötungsakt in aller Öffentlichkeit, coram publico, vollzieht. So löst der Maler die Kreuzigung aus ihrem herkömmlichen, religiösen Kontext heraus und erklärt sie zum Bild einer Kreuzigung, dessen Ikonographie den Tod des Messias nicht mehr berührt. Dabei macht Bacon das verletzliche, verwesende Fleisch zu seiner ureigenen Todesmetapher. Durch die lebhaft-blutvoll wirkende Kolorierung des putreszierenden Kadavers veranschaulicht er nicht nur die Hinfälligkeit dieser Substanz, sondern huldigt gleichzeitig auch der anmutig farbenprächtigen Schönheit des faulenden Aas.
Über die frappant schockierende Wirkung, die Bacons Bilder beim Rezipienten hinterlassen, ist viel publiziert und diskutiert worden. Arbeiten, in welchen die zahlreichen Todesanspielungen aus dem Ouvre des Künstlers umfassend herausgestellt werden, lassen sich dabei eher seltener, respektive gar nicht finden. In der von Valérie Breuvart anlässlich der…