LEIKO IKEMURA
DIE ANWESENHEIT EINER ABWESENHEIT
EIN GESPRÄCH MIT DORIS VON DRATHEN
Seit den 90er Jahren ist in der Malerei von Leiko Ikemura ein Wesen aufgetaucht, das sie modulartig wiederholt. Niemand weiß genau, diese Figur näher zu bezeichnen, vielleicht um der Fremdheit Herr zu werden, suchen die meisten Kommentatoren nach bekannten Begriffen wie ‘Mädchenfiguren, angesiedelt zwischen Traum und Realität’ und mischen gern noch den Hinweis auf orientalische Kulturunterschiede dazu. Dabei wird einerseits übersehen, dass Leiko Ikemura seit den 80er Jahren eine radikale Auseinandersetzung mit der Figur führt, und andererseits bleibt eine Linie unbeachtet, die in beinahe allen Bildern das eigentliche Thema ist – der Horizont. Auch wenn die Malerin Skulpturen schafft, ist diese Linie mitgedacht.
Darf ein Maler heute noch mit solchen Begriffen wie Essenz und Substanz des Seins umgehen? Warum fällt es uns so schwer, ein Bild erst einmal als das unvereinnehmbare Andere, das nicht zu kolonisierende Fremde zu respektieren? Leiko Ikemura, deren Lebenswelt sich gewiss aus verschiedenen kulturellen Bereichen zusammenfügt – in Japan aufgewachsen ist und dort studiert hat, dann in Spanien gelebt hat, heute schließlich zwischen Berlin und Köln pendelt und es gern offen lässt, wohin sie eines Tages geht – arbeitet allerdings nicht an solchen begrenzten Thematiken, die sie auch im Alltag nicht als Gesprächsgegenstand interessieren, sondern fragt unmittelbar nach menschlichen Ursprüngen, existentiellen Geheimnissen. Und für diese Befragung ist die Malerei ihr Medium geworden.
Doris von Drathen: Als wir eben durch dein Atelier gingen und über die neueren Arbeiten sprachen, auf denen Gruppen jener modulartig sich wiederholenden Gestalten auftauchen, sagtest…