Dialog mit dem Anderen
Eine Dokumentation herausgegeben von Martin Roman Deppner und Doris von Drathen
“Dialog” ist Mode geworden. Nach den großen Schlagwörtern der 70er und 80er Jahre, der Ich-Findung, der persönlichen Mythologie, nach den Verstrickungen des Ichs im “Labyrinth” der Postmoderne, scheint sich ein neuer Begriff als geschmeidiger Titel für Ausstellungen und Begegnungen durchzusetzen.
Wie selten aber kommt ein Dialog fruchtbringend zustande.
Die größte Chance bieten noch die Kunstwerke selbst, die, kenntnisreich in Beziehung gesetzt, tatsächlich ein non-verbales Zwiegespräch führen können. Aber wer hat denn in den vergangenen Jahren auch nur eine Podiumsdiskussion erlebt, von der man nicht ermattet und enttäuscht nach Hause ging?
Angesichts der ganz anderen Dialogfähigkeit talmudgeschulter jüdischer Künstler, wie etwa R.B. Kitaj, Leon Kossoff, Lucian Freud oder Frank Auerbach, die im Gespräch versuchen, Fragen herauszuarbeiten oder Paradoxa in der Schwebe zu halten, zeigt sich in der okzidentalen Kultur die erschreckende Schwäche, statt eines Dialogs einen Überzeugungskrieg zu führen, die eigene Position monologisch zu sichern und des anderen Position möglichst zu besiegen.
Martin Roman Deppner hat sich über Jahre mit der Diaspora-Situation der englischen Schule beschäftigt und daraus ein mitreißendes Interesse für das Phänomen Dialog entwickelt.
Als er 1988 in Hamburg zusammen mit Kitaj die Ausstellung “Die Spur des Anderen” einrichtete, begann unser “Dialog”, und wir nahmen uns vor, den Begriff grundsätzlich zu klären, bevor er in der Kunstmarkt-Maschinerie zum nichtssagenden Label verkommt.
Den zentralen Gedanken liefert uns Emmanuel Lévinas, jener jüdische Philosoph, der 1933 von Berlin nach Paris emigrierte und dessen Texte tatsächlich heute erst, mit einem halben Jahrhundert Verspätung, ins Deutsche übersetzt…