Rainer Unruh
Der Weg der ockerfarbenen Elefanten
Dissidenten-Kunst aus Leningrad, Kampnagel,
Halle K 3, Hamburg, 8.8. – 25.8.1991
Andrej Kurmajartsew, Yurij Krasew, Walerij Morosow –
drei Necrorealisten aus Leningrad,
Galerie Caspar Bingemer, 1.8. – 2.9.1991
Als politisches Leitbild hat Lenin ausgedient. Seine Schriften verstauben in den Bibliotheken, sein Lebenswerk, die Verwirklichung des Sozialismus auf den Trümmern des Zarenreiches, dürfte das Jahr 1991 nicht überdauern. Höchste Zeit also, daß uns jemand den anderen Lenin zeigt, nicht den eiskalten Berufsrevolutionär, sondern den vom Feuer der Leidenschaft entflammten Don Juan. Höchste Zeit, mit anderen Worten, für Evgenij Kozlov.
“Leninskaja Erotika” hat der Leningrader Künstler seine skurrile Serie von 21 Zeichnungen über den Namenspatron seiner Heimatstadt genannt. Mal tritt uns Wladimir Iljitsch mit grellrot geschminktem Mund, gleichfarbigem Damenslip und kokett knappem Jäckchen als von der Libido entfesselter Hermaphrodit entgegen, dann verwandelt ihn der Lackstift Kozlovs in ein obskures Objekt der Begierde, dessen Bild eine nackte Frau mit ihren Lippen liebkost. Kozlov hat seiner Phantasie die Zügel schießen lassen. Wo sie den Rahmen sprengt, setzt der 36jährige die Zeichnung auf der Wand fort.
Kozlovs Arbeiten funkeln vor Ironie. Das gilt auch für eine Reihe von Holztafeln, die, auf schwarze Metallständer montiert, wie Wegweiser wirken. “Art USA” greift die Verdammung vermeintlich dekadenter West-Kunst durch die Sowjet-Bürokratie auf, kombiniert in einer wüsten Collage vom Stumpfsinn angekränkelte Gestalten mit unkontrolliert wuchernden Ornamenten. Die Antwort heißt “Art CCP”, zeigt stilisierte Helden des Sozialismus bei ihrer Arbeit und wäre der perfekte Vorschein einer großen Zukunft, gäbe es da nicht diesen aus einem…