François Jullien
Der Umweg über China
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks
François Jullien, 1951 geboren, ist Professor für „Philosophie und Ästhetik des klassischen China“ und Leiter der „UFR Langues et civilisations de l’Asie orientale“ an der Uni Paris VII, Denis Diderot sowie Direktor des Institut Marcel Granet und des „Institut de la Pensée Contemporaine“. Er ist kein gewöhnlicher Sinologe, der seine Arbeit auf das Übersetzen beschränkt, sondern zudem auch noch ein radikaler Philosoph, der das europäische und das chinesische Denken miteinander konfrontiert und deren Ressourcen nachspürt. Bücher wie “Der Umweg über China“ sind in der sogenannten Fachwelt nicht unumstritten, sie werden dafür aber vor allem gewinnbringend von jenen gelesen, die China für sich als Möglichkeit entdeckt haben, die eigene Denk- und Sehweise neu zu positionieren. Und auch in China sind die Jungen offen für die Gedanken des Franzosen, der die Lücken des Denkens aufdeckt und dabei die kulturell und geographisch determinierten Lebensformen greifbar macht. Heinz-Norbert Jocks sprach mit ihm über drei Stunden in seinem Büro im Institut de la Pensée Contemporaine, auch um zu erfahren, worin sich ein Chinese von einem Europäer unterscheidet
H.-N.J.: Wie kamen Sie auf die Idee des „Umwegs über China“?
F.J.: Am besten ich erläutere Ihnen meine philosophische Strategie, damit Sie verstehen, woher ich komme und wohin ich will. Zunächst einmal bin ich Philosoph griechischen Ursprungs. Es war denn auch das griechische, das mein Interesse für das chinesische Denken weckte. Ich suchte nach einem von der griechischen Kultur entfernten Punkt. In deren Erbe sind wir übrigens tiefer verwurzelt, als wir…