Felix Philipp Ingold
Der Tod hat Zukunft, er passiert zur Zeit
(nach Flusser)
Nicht “Ach!” und nicht “Was?” war das erste Wort, mit dem ich auf die Nachricht von Vilém Flussers Tod reagierte; das erste Wort war “Nein!” – Daß Flusser, mit dem ich seit Jahren bekannt war, den ich des öfteren in Südfrankreich besucht hatte und dem ich immer wieder bei Vorträgen oder Symposien begegnet war, tot sein sollte, kam mir ganz und gar unwahrscheinlich vor – vielleicht war die schlimme Botschaft bloß ein übler Scherz? Denn am Vortag (also am Tag seines Todes) hatte ich ihm, ohne zu wissen, daß er unterwegs war, mein neues Buch, eine Erzählung mit dem Titel “Ewiges Leben”, zugesandt, und ich erinnerte mich nun auch, daß bei unserem letzten Gespräch – zwei, drei Monate zuvor – erstmals von seinem geplanten Werk “über das Leben” die Rede war, einem Projekt, aus dem Flusser eine Art Summa seines Denkens zu gewinnen hoffte und dessen Realisierung er zweifellos für den adäquaten Abschluß seines Lebenswerks gehalten hätte.
Doch jenes spontane “Nein!” war – als Aufschrei gegen die Unwahrscheinlichkeit eines katastrophalen Zufalls – durchaus fehl am Platz; denn das Unwahrscheinliche war doch schon immer Flussers Element gewesen; von lauter Unwahrscheinlichkeiten war seine Biographie gekennzeichnet, in deren chaotischen Turbulenzen er nichts anderes als eine Serie von notwendig gewordenen Zufällen zu erkennen glaubte. Was wir gemeinhin tun, ist – wie Flusser mehrfach betonte – jeglicher “Tendenz zur Wahrscheinlichkeit entgegengesetzt”; ob wir es wollen oder nicht – was uns am Leben hält und was uns…