Verschiebungen, Verdichtungen, Antizipationen, Rückblicke
Von Cathrin Pichler
Der Spur auf der Spur
Zur Erinnerungsarbeit in Projekten von Sophie Calle
Von den Werken Sophie Calles geht eine eigenartige Irritation aus. Geht man dieser seltsamen Sphäre nach, so bemerkt man einen Kontrast zwischen einer pragmatisch, kühlen Darstellungsweise und persönlichen, individuell-subjektiven Inhalten. Die Werke präsentieren sich in klaren, wie Sophie Calle es nennt, “präzisen” Formen – in Photographien, und zumeist in Photographien und Texten. Der Eindruck des geheimnisvoll Mysteriösen stellt sich bei genauerer Ansicht aus dem Widerspruch von Form und Inhalt her: Der Betrachter wird mit fremden Geschichten konfrontiert und in diese gleichsam hineingezogen, Geschichten, die unbekannten Menschen gehören, und er gewinnt das Gefühl, sich diesen voyeuristisch zu nähern oder sogar deren Privatheit zu verletzen.
Das Eindringen in fremde Geschichte und Leben und ihre Aneignung durch Dokumentation – durch Photographie und Beschreibung – ist das Prinzip einer Reihe von Sophie Calles Projekten, die in ungewöhnlicher – teils abenteuerlicher und teils obskurer Weise realisiert wurden. Das Abenteuer der Annäherungen und des Eindringens in persönliche Geschichten macht den Hintergrund einer vordergründig klaren und banalen Dokumentationsarbeit aus, durchdringt die Pragmatik und umgibt die Objekte mit einer Sphäre des Geheimnisses. Das Operationsfeld, in dem sich die Künstlerin bewegt, ist häufig das von Erinnerungen und hier liegt wohl ein weiteres irritierendes Moment. Erinnerungen gehören wieder zur Person, zu einer individuellen Geschichte, zu einem individuellen Dasein; ihre Zitate lösen ein Stück aus dem Leben und Denken der Personen, zugleich verweisen sie auf das Mehr und das Geheimnis des ganzen fremden Lebens. Erinnerungen selbst…