Stephan Schmidt-Wulffen
Der Silberblick zurück
Geschichte und Geschichten auf der Documenta 8
Ein dankbares Motiv für die Fotografen: Eine der langen Wegachsen durch den Auepark ist drohend verstellt von vier Guillotinen. Wie Tore laden sie zum Hindurchgehen ein, wären da oben nicht die Messer, würden sie nicht in ihrer rohen Machart den rücksichtslosen Tötungswillen signalisieren. Dennoch: Der Blick durch diese Tötungsmaschinen ist idyllisch. Wie Bilderrahmen umfassen sie den einen kleinen schmucken Rokoko-Pavillon im Hintergrund.
IAN HAMILTON FINLAYS ‘View to the Temple’ ist eine der Ikonen der diesjährigen documenta, um das harsche Wort vom Markenzeichen zu vermeiden. Einem ihrer Schlüsselmotive verleiht es einprägsam Gestalt: der historischen Dimension der Gegenwartskunst. Wenn, wie Edward Fry schreibt, seine ‘Neue Moderne’ ganz wie die alte ein »fortdauernder Kampf gegen Mythen und instrumentelle Vereinnahmung« ist, dann kann sie des Lehrbuchs der Geschichte ja kaum entbehren. Allerdings stößt man in dieser documenta selten auf Historisches, das noch als mahnendes Exemplum präsentiert wird. Abgesehen von den politischen Akzenten, die sich eher in Zeitkritik üben, bleibt die besagte ‘historische Dimension’ doch Mangelware.
Die Geschichte ist aber auch der Fundus der Postmoderne. ‘Neue Technik und alte Muster’, so definiert einer ihrer Väter, Charles Jencks, das Prinzip. Auch für die bildende Kunst stimmt, daß sie das ‘soziale Versagen’ des modernen Funktionalismus in die Kulissen der Historie trieb. Dabei muß man allerdings den Funktionalismus etwas großherzig auslegen: Minimal- und Konzept-Kunst gehorchen gedanklichen Prinzipien, die auch das ‘form follows function’ geschaffen haben. Geschichte gegen Funktionalität, das schafft einen merkwürdigen Zugang zur Vergangenheit. Immer wieder ist beklagt worden,…