ANNETTE RUNTE
Der Schnitt, aus dem die Schritte sind
‘Die Tänzerin ist keine Frau, die tanzt’
(Mallarmé)
‘Ballet is woman’
(Balanchine)
Für Ian Owen, Tänzer
1. Fetisch und Metamorphose
Während Transsexuelle sich verkleiden, um ihre ‘wahre’, seelische Identität adäquat auszudrücken, ziehen Transvestiten aus periodischem Zwang erotische Lust1. Betrachtete Freud den männlichen Transvestitismus als Paradebeispiel des Fetischismus, so deswegen, weil sich in ihm die paradoxe Gleichzeitigkeit von Anerkennung und Verleugnung eines Mangels gleichsam zu einem ‘lebenden Bild’ verdichtet. Aber im Gegensatz zur statuarischen Imitation ‘eingefrorener Posen’ wird in dieser symptomatischen Maskerade nichts dargestellt, sondern etwas ver- bzw. entstellt, die Angst vor der Kastration, vor dem visualisierbaren Nichts des weiblichen ‘Geschlechts’. Der vom Wunsch an Stelle eines menschlichen Objekts besetzte magische Dingfetisch, etwa ein feminin codiertes Kleidungsstück wie das Kleid, spielt im Falle der Mann-zu-Frau-Travestie eine Doppelrolle. Denn der Rock signalisiert gleichzeitig einen Triumph über den und einen Schutz vor dem Verlust, verbirgt und protegiert er doch ein männliches Insignium, indem er seinen Träger als eine ‘Frau’ ausweist, der (zudem) nichts fehlt. Die fetischistische Rhetorik besteht also darin, daß sie Verlangen und Abwehr, unbewußte Aussage und vorbewußte Äußerung, verschränkt. Feministische Kritik sah den Skandal dieser psychoanalytischen Konzeption bereits in ihrer durch Freuds Sexualtheorie bedingten geschlechtsspezifischen Einseitigkeit. Weil Frauen nichts zu verlieren hätten, sollten sie auch keine Fetischistinnen seien können, obwohl doch schon ihre Passion für Mode dieser Behauptung zu widersprechen scheint. Beschwört nur männliche Travestie das präödipale Phantasma einer ‘phallischen Mutter’, scheint der freudsche Blick unter den Rock selber dieser imaginären Logik verhaftet: Männlicher Fetischismus…