Richard Sennett
Der öffentliche Raum stirbt ab
Der Intimitätskult wird in dem Maße gefördert, wie die öffentliche Sphäre aufgegeben wird und leer zurückbleibt. In einer ganz unmittelbaren, physischen Weise weckt die Umwelt in den Menschen den Gedanken, daß die öffentliche Sphäre bedeutungslos sei. Ich meine die Organisation des Raums in den Großstädten. Architekten, die Wolkenkratzer und andere Großbauten planen, gehören zu den wenigen Fachleuten, die mit den heutigen Vorstellungen von öffentlichem Leben praktisch zu tun haben, die diese Vorstellungen zum Ausdruck bringen und für andere sichtbar machen.
Einer der ersten nach dem Zweiten Weltkrieg ganz im Stil der International School errichteten Wolkenkratzer war das Lever House von Gordon Bunshaft in New York. Das Erdgeschoß des Lever House ist ein freier Platz, ein Hof, an dessen Nordseite das Hochhaus steht, während die drei anderen Seiten von einem flachen Gebäude eingefaßt sind, das auf Säulen ruht und ein Stockwerk über dem Erdboden beginnt. Von der Straße gelangt man unter diesem Hufeisen hindurch auf den Platz. Das Straßenniveau selbst ist toter Raum. Dieser Platz bietet sich nicht zu einer Vielfalt möglicher Aktivitäten an. Er dient einzig als Durchgang ins Innere des Gebäudes. Die Form dieses Wolkenkratzers verträgt sich nicht mit seiner Funktion, denn die Form verspricht, daß hier ein öffentlicher Platz in Miniaturformat wiederbelebt werden soll, aber die Funktion zerstört gerade das, was an einem öffentlichen Platz wesentlich ist: daß er Personen miteinander mischt und eine Vielfalt von Aktivitäten anzieht.
Dieser Widerspruch ist Teil eines umfassenderen Zwiespalts. Die International School hatte eine neue Idee der Sichtbarkeit…