JOHANNES MEINHARDT
Der neue Geniekult
Die neuzeitliche und besonders die moderne Malerei – und die Malerei war die Leitgattung der Moderne – stellte sich als ein spezifisches analytisches Feld mit einem eigenen Typ von Professionalität dar. Der Maler beschäftigte sich mit der sensuellen bzw. visuellen Analyse der Sichtbarkeit, auf phänomenologischen, reflexiven und wissenschaftlichen Ebenen. Er war ein professioneller Analytiker der historisch-gesellschaftlichen Wahrnehmungsordnungen – zuerst innerhalb der Malerei, dann, radikalisiert, innerhalb der sichtbaren Welt im Allgemeinen. Als Spezialist der Erzeugung von Einstellungen und Sichtbarkeitsordnungen zeigte er sich prädestiniert dafür, in einer selbstreflexiven Wende der Moderne eine reflektierende, in die Arbeit am Sichtbaren eingebettete Analyse zu liefern, die auch Weltbilder, Weltverfassungen und Ordnungen der Dinge mit einbezog.
Diese spezifische Professionalität des Malers ging zusammen mit der Moderne zu Ende. Seitdem sich Künstler nicht mehr um die Verfassung der Sichtbarkeit kümmern, sind sie nur noch Amateure und Dilettanten, die Fragestellungen und Verfahren aus anderen Bereichen, vor allem denen der Sozialwissenschaften, für sich in Anspruch nehmen. Sie bedienen sich der Diskurse, Methoden und Verfahren verschiedener Soziologien, (häufig auf einem unreflektierten statistischen oder empiristischen Niveau), der kritischen Gesellschaftstheorie, der Institutionenkritik, aber auch der Sozialplanung und verwandter Bereiche. Sie betätigen sich dort jedoch als Amateure, nicht gebunden an die immanenten Kriterien, die Kategorien und die kritische Diskussion von Methoden. Vielmehr werden diese nur benutzt, wie immer schon Theorie und wissenschaftliche Hypothesen von modernen Künstlern als Material benutzt wurden – vor allem zur Klärung und sprachlichen Artikulation des Visuellen. Sobald jedoch die Künstler selbst einen wissenschaftlichen Anspruch erheben, bricht…