Maria Kreuzer
Der Mensch als Ort – Nicht als Ich
Guiseppe Spagnulo
Skulpturen und Zeichnungen aus den Jahren 1963-1985
Kunstverein Hamburg, 20.7.-8.9.1985
Roland Barthes Bestimmung zeitgenössischer Literatur als Mythos möchte ich auf die bildende Kunst übertragen wissen und sie in dieser Hinsicht als »mythische Leistung« von der bloßen Mystifizierung, die die Bilderflut der letzten Jahre mit sich gebracht hat, unterscheiden.
Die Sinnkrise der Moderne zeigt an, daß Sinn kein ursprüngliches Phänomen ist. Weder kann das Subjekt sich als absolut autonom behaupten, noch kann der Kunst Autonomie uneingeschränkt zugesprochen werden. Ist das »Sujet« (Subjekt/Objekt) – wörtlich übersetzt: unterworfen – immer eine anonyme Übermacht von Anderem für den, der sich mit ihm konfrontiert, so wird es nötig, diese »anonyme Übermacht« in ein anderes »Ich«, ein »Auch-Ich«, zu transformieren. Hierin besteht die eigentliche mythische Leistung.
Im gelungenen Kunstwerk zeigt sie sich dadurch, wie sehr »Form sedimentierter Inhalt« (Adorno) ist. Dem entspricht auf seiten des Subjekts der mythologische Bereich par excellence. Mag es so scheinen, als könne sich der menschliche Geist gerade hier am freiesten seiner schöpferischen Spontaneität hingeben, so unterliegt er schon hier bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die den traditionellen, selbstherrlichen Subjektbegriff als Bewußtsein, Einheit und Identität unterlaufen. Indem mythologisches Denken, das zwischen den Wahrnehmungen von Vorstellungen und Konzepten liegt, einen Zwischenbereich bildet, wobei Bezeichnendes mit dem Bezeichneten verbunden wird, wird der Mensch als »Ort«, nicht als »Ich« zentral.
Guiseppe Spagnulos Bildwerke tragen dem Rechnung.
So stellen seine »Selbstbildnisse« (Autoritratti) die Rolle des Künstlers als Schöpfer – auch in seiner eigenen Person – in Frage. Diese Infragestellungen korrespondieren auf bildlicher Ebene…