Gerald Nestler
Der Mensch als Derivat
Ein Gespräch von Dieter Buchhart
Seit vielen Jahren sucht Gerald Nestler die Wirtschaft als Leitparadigma unserer Zeit zu untersuchen, wobei er sich als Börsenbroker und Trader oder Firmenmitbegründer auch kurzzeitig in das System einschleuste, um die Machtstrukturen und den abstrakten Umgang mit Mensch und Welt von innen zu erforschen. In seinen Projekten bewegt sich Nestler im amorphen, sich permanent verändernden Überschneidungsraum zwischen Wirtschaft, Leben und Kunst. Er baut Rahmen, innerhalb derer er zusammen mit anderen KünstlerInnen, VertreterInnen der Wirtschaft, WissenschaftlerInnen oder Interessierten agiert. In dem umfassenden Projektkomplex „resource.future“ hinterfragt Nestler gemeinsam mit Toni Kleinlercher die Auflösung des Individuellen in wirtschaftlichen Großsystemen, die Virtualität des Geldes im Börsenhandel und den Begriff der Marktwirtschaft als mittlerweile weltumspannendes Herrschaftssystem. So verbinden die Künstler in der audiovisuellen Installation „sexy curves“ Börsenkurse und Handelsgeräusche mit Herzfrequenzdiagrammen und Ultraschallherztönen oder stellen in „CEOs“ führende VertreterInnen der Wirtschaft in performativer Weise in den Mittelpunkt einer Videoporträtreihe. Dabei haben sich die Wirtschaftsbosse dem ungewohnten künstlerischen Setting zu beugen, wobei ihre professionelle Selbstinszenierung als solche entlarvt wird, wodurch der offensichtlichen Gefahr dieses künstlerischen Ansatzes zur Repräsentation der Mächtigen instrumentalisiert zur werden widersprochen wird. Nestler infiltriert gleich einem Virus das System ob auf der CeBIT, der österreichischen Industriellenvereinigung oder im Börsenhandel, indem er ungewohnte dissonante Informationen entgegen dem gerichteten Informationsfluss hinein- und wieder herausschleust.
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Dieter Buchhart: Zwei Jahre lang hast du in den 1990er Jahren als Börsenbroker und Trader in Hamburg gearbeitet. Was hat dich an diesem Job gereizt?
Gerald Nestler: Anfang der 1990er Jahre entstand ja…