Marius Babias
Der künstlerische Massenakt
Über den Zusammenhang von Randale und Kunst in Berlin-Kreuzberg
Berlin-Kreuzberg entwickelt sich neben dem Kurfürstendamm immer mehr zur touristischen Attraktion in der an Haupt und Gliedern amputierten, sprich geteilten Stadt. Sowohl die sensationsgierigen Besucher als auch die gewaltlüsternen Autonomen selbst nähren die Vorstellung, daß Kreuzberg eine Art Freiland-Zoo für revolutionäre Sandkastenspiele ist. Die schon zur Pflichtübung ritualisierten jüngsten Ausschreitungen vom 1. Mai haben neben den politischen, soziologischen und psychopathologischen Implikationen auch einen bislang von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen Aspekt zutage gefördert, der im Kontext der Kunst eine gewisse zynische Bedeutung erlangt.
Die Rede ist von den Übrigbleibseln der zelebrierten Gewalt, demolierte Schaufenster, ausgebrannte Autos, eingeschmolzener Asphalt, all die aktionistischen Relikte, die noch Tage danach auf den Straßen zur Schau standen. Was diese Objekte von früheren Kampfspuren unterscheidet, ist der Umstand, daß sie nicht aus der direkten oder indirekten Konfrontation zwischen Autonomen und Polizei, sondern eindeutig aus dem Aktionismus der Randalierer hervorgegangen sind, denn die Polizei hielt sich diesmal bis zuletzt bedeckt. Sie qualifizieren sich somit zu Belegen einer destruktiven Energie, die den unmittlbaren, nicht etwa den sublimierten Ausdruck eines Kunstwerks sucht. In der Umwandlung einer destruktiven Energie in einen Ausdruck liegt die Analogie des Randalierens zum Herstellen von Kunstwerken, aber auch der Unterschied, da unmittelbar und unreflektiert, begründet. Was die unterschiedliche Intention und Ausführung angeht, disqualifizieren sich die Trophäen der Zerstörungswut zu einer Art “künstlerischem Akt der Massenpsychose”. Was den singulären künstlerischen Akt unbedingt sanktionabel macht, nämlich die Plausibilität der Auswahl der Produktionsmittel, erweist sich beim künstlerischen Massenakt…