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Titel: Lebenskunstwerke · von Boris Groys · S. 140 - 147
Titel: Lebenskunstwerke , 1998

GIA EDZGVERADZE
Der Kunstasket

von Boris Groys

Vergeblich suchen die Betrachter in den Arbeiten von Gia Edzgveradze nach der milden Exotik des östlich-mediterranen Kulturkreises. Ganz im Gegenteil: die Bilder des Künstlers zeichnen sich durch eine extreme Askese aus, die alle üblichen Lebensbezüge ausschließt. Es handelt sich um eine Art Schrift, die die Grenze zwischen Bild und Text dekonstruiert und zugleich keine eindeutige Semantik besitzt. Die Schrift wird hier zum Ornament, und das Ornament wird zur Schrift. Wenn das Georgische dabei überhaupt zu entdecken ist, dann vielleicht nur in der Erfahrung der Andersartigkeit des eigenen Schriftsystems, das aus einer bestimmten kulturellen Distanz heraus wie ein Ornament empfunden wird und die Imagination zu allen möglichen (Miß-)Interpretationen verführt.

Autonomie der Kunst =Autonomie des Subjekts?

Auf jeden Fall vermeidet Edzgveradze in seinen Arbeiten, indem er aus einer vergleichbaren Lebenssituation heraus direkt an die Vorbilder der klassischen Avantgarde anknüpft, einen grundsätzlichen Fehler, dem so viele Künstler in unserem Jahrhundert erlegen sind. Die Autonomie des Kunstwerks wurde nämlich zu oft als Freiheit des Künstlers mißverstanden, sich in seinem Werk “auszudrücken”. Die avantgardistische Autonomie der Kunst wurde auf diese Weise mit der Autonomie des modernen, emanzipierten Menschen in Zusammenhang gebracht und in der modernen, nach Freiheit und Utopie strebenden Subjektivität verankert, deren Schicksal sich in der modernen Kunst widerspiegeln sollte. Die Freiheit der ästhetischen Entscheidung und des künstlerischen Geschmacks wäre somit ein Ausdruck der Freiheit des modernen Individuums unter vielen anderen. Jeder individuelle Geschmack wird dabei als gleichberechtigt anerkannt, so daß in der Kunst, wie auch angeblich in der modernen Demokratie,…


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