Stephan Krass
Der Krieg im Zeitalter seiner technischen Simulierbarkeit
Moskau, 15. Oktober 1989. James-Bond-Darsteller Sean Connery eröffnet den ersten Golfplatz in der Sowjetunion. Der Schauspieler und passionierte Golfer soll nach dem Willen der Organisatoren mit seinem ersten Schlag auf der Sportanlage den in der UdSSR bisher als Ausgeburt des Kapitalismus betrachteten Golfsport populär machen.”
Der klassische Agentenjäger des kalten Krieges ist von der Leinwand herabgestiegen und führt im Feindesland den Erstschlag aus. Der Golfplatz als strategische Landschaft. Treffsicher landet das Ballgeschoß im vorgesehenen Zielloch. Seine Flugbahn folgt keinem militärischen Kalkül, gehorcht keinem ideologischen Gesetz mehr. Der Film ist aus.
Im Angesicht der absoluten Waffe, die jede Politik lenkt und umstellt von Raketensystemen, deren interne Logik sich menschlicher Kontrolle tendenziell entzieht, hat die Medientechnologie Herrschaft über den Krieg gewonnen. An ihren Computerschirmen proben leibhaftige Generäle unablässig den Ernstfall. Bisweilen konsultieren sie sich gegenseitig und wohnen mit freundlichen Minen feindlichen Manövern bei. Doch längst haben künstliche Intelligenzen den Aktionsradius jedes Gegners exakt berechnet; längst haben technische und wissenschaftliche Maßlosigkeit ein supernationales Terrain errichtet, auf dessen Boden die Konturen des Krieges zwischen seiner real existierenden Gegenwart und den Anstrengungen zu seiner endlosen Vorbereitung nur noch undeutlich auszumachen sind. Der Krieg im Zeitalter seiner technischen Simulierbarkeit.
Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs hatte Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit” gezeigt, wie sich das einzelne Kunstwerk von der Fundierung aufs Ritual löst und seine Aura, seine Singularität, verkümmert. Die Aura des Krieges ist die Echtzeit. Im Zeitalter seiner technischen Simulierbarkeit hat sich der…