Der faustische Philosoph
Zur Ausstellung „Bodenlos – Vilém Flusser und die Künste“
von Michael Hübl
Wenn es stimmt, dass Denken und Bewegung eng ineinandergreifen, und Friedrich Nietzsches Verdikt zutrifft, dass eine Erkenntnis überhaupt nur dann Gültigkeit beanspruchen dürfe, sofern sie beim Gehen, also in Bewegung gewonnen wurde, dann wäre Vilém Flusser allein schon durch das Itinerar seiner Biografie als Philosoph ausgewiesen. Lange oszilliert das Register seiner Wege zwischen Europa und Brasilien, Brasilien und Europa. Und es enthält ein tragisches Moment der Wiederholung – einer erzwungenen, die Flusser das Leben rettet, und einer freiwilligen, die es ihm nimmt. Als der Sohn einer Prager Intellektuellenfamilie im Frühjahr 1939 nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in die böhmischen und mährischen Rudimente der bereits zerschlagenen Tschechoslowakischen Republik versucht, zusammen mit seiner Freundin Edith Barth nach London zu fliehen, wird er wegen fehlender Papiere an der deutsch-niederländischen Grenze zurückgewiesen. Während Barth weiterreisen kann, kehrt Flusser zurück in das okkupierte Land, in dem die nationalsozialistischen Besatzer bereits ihr Terrorregime aufbauten. Noch einmal nimmt er es auf sich, seiner Familie zu begegnen, die bleiben will, bleiben muss. Noch einmal die Trennung von dem Ort, den der Religionswissenschaftler David Flusser auch nach dem Tod seines Cousins Vilém als „Heimat“ 1 bezeichnet. Es folgt das Exil, zunächst London, bald São Paulo und dann, als Vilém Flusser und seine Frau Edith längst wieder in Europa leben, die Rückkehr nach Prag – diesmal unter freundlichen Vorzeichen, auf Einladung des Goethe-Instituts. Und just, als es so aussieht, als sei es möglich geworden, eine Brücke…