Martin Roman Deppner / Doris von Drathen
Der Dialog mit dem Anderen
Eine Einführung in den Dialog als Weltaspekt
Der Andere stört. Wenn Jahwe dem Abraham befiehlt, sein Haus zu verlassen, in ferne Länder zu ziehen, seinen Sohn zu töten, so stört der Andere gewaltig. Der “Ruf des Herrn” aber fordert heraus, die eigene Existenz zu erleben, denn Abraham antwortet dem, der da spricht und den er nicht sieht, den er nicht kennt, von dem er nur weiß, das ist der “ganz Andere”, der “Ich bin, der ich bin”, und während er antwortet, nennt er sich selbst “Ich” und den Anderen “Du”. Das unbekannte sprechende Antlitz des Anderen nennt Hagar, die Nebenfrau Abrahams, mit den einfachen Worten: “Du bist ein Gott, der mich sieht”1 und formuliert damit die Asymmetrie dieses Dialogs mit dem Anderen.
Dem Welträtsel seiner geheimnisvollen Existenz ist der Mensch in allen Mythen und Religionen mit der Vorstellung des ganz Anderen entgegengetreten, das ihn geschaffen, das ihm vorgelebt hat, das ihm Weisungen gibt, ihn stört und seine Existenz spüren läßt, das aber unbekannt, unsichtbar, undarstellbar ist.
Der “Ruf des Herrn”, der für Jean-François Lyotard eine Erfahrung und Erkenntnis der ersten Person oder zumindest des Selbst ist2, halten Martin Buber und Emmanuel Lévinas als unbekannte Größe aufrecht, in der Legitimation der Mathematiker etwa, die mit dem irrealen Wert Pi zur realen Brückenkonstruktion gelangen. Buber und Lévinas nehmen das Unbekannte also als “jemand” an und nennen es “Gott”; wenn Lyotard ihnen vorhält, daß über diese erbauliche Verwechslung die Heiden lachen3, läßt er allerdings außer…