Der Clown als schlechter Prediger
DORIS VON DRATHEN SPRACH MIT CHRISTIAN BOLTANSKI
IN PARIS IM DEZEMBER 1990
Vor ein paar Jahren hat Christian Boltanski eine Serie von Rundfunkinterviews gegeben. Im Abstand von festgelegten Zeiträumen ließ er sich immer wieder dieselben Fragen stellen und hatte Spaß daran, seine Antworten zu vergleichen, Übereinstimmungen, Verstärkungen, Abweichungen, Variationen oder gar neue Hinzufügungen auszumachen. Boltanski geht es nicht bei jedem Schritt um das Neue, gerade Erfundene, Überraschende. Es ist sonderbar, in diesem Wissen Fragen zu stellen. Selbstverständlich habe ich doch versucht, etwas Neues zu erfahren. Selbstverständlich hat er geantwortet, was er schon oft geantwortet hat, manchmal kaum die Frage abwartend. Immer hat mich die Vorstellung von jenen tausend Lehmkugeln begleitet, die er 1969 eigenhändig geknetet hat. Jede gleich und doch jede minimal abweichend. Das ist das Überraschende: In der Wiederholung tauchen hie und da wie in einem Stück Minimalmusic ein paar Töne auf, die man noch nicht gehört hatte. Ansonsten hat man als Fragensteller eher die Rolle dessen, der bei einer Sprachschichtung, einer Sprachablagerung, als Ferment dienlich ist.
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D.v.D.: Es gibt verschiedene Bilder, um zu erklären, was das sein könnte: Aura. Das einfachste ist vielleicht jene kleine Warhol-Anekdote. Zum ersten Mal habe er gespürt, daß er so etwas wie Aura habe, erzählte er, als ein Fremder in die Factory kam und kaum wagte, am Tisch neben ihm zu sitzen.Das schönste ist vielleicht die oft zitierte chassidische Geschichte, die Sie gewiß besser kennen als ich. Von dem heiligen Mann, der in den Wald ging, dort an einer bestimmten Stelle ein…