Walter Warnach
Denken, ein kreativer Vorgang?
Um es vorweg zu betonen: Ich habe mein Thema als Frage verstanden (nicht, wie in der Ankündigung als These), d. h. ich muß mich der Möglichkeit offenhalten, daß ich gezwungen werde, die Frage zu verneinen. Das Thema habe ich nicht von ungefähr gewählt, vielmehr fühlte ich mich dazu genötigt, weil ich glaube, Ihnen Rechenschaft darüber zu schulden, daß ich mich zu den Ihren zähle, obschon mein Tun sich fundamental von dem unterscheidet, was Ihnen in der Mehrzahl gemeinsam ist: Kunst zu machen, so oder so. Sie sind, um es mit einer längst verschlissenen Vokabel zu bezeichnen: “kreative” Menschen, ich aber, als Philosoph, zweifellos nicht.
Der Grundakt des Philosophen ist Denken. Darin unterscheidet er sich von dem Wissenschaftler, der erkennt, einen Gegenstand erfaßt als das, war er ist, als zugehörig zu einem bestimmten Gegenstandsbereich, dem er durch Empirie und Theoriebildung beizukommen trachtet. – Das Mindeste, was man von einer kreativen Tätigkeit sagen kann, ist dies, daß sie einem Etwas etwas hinzufügt, es zum Wachsen (creare – crescere), wenn nicht gar überhaupt hervorbringt. Im Denken dagegen wird nichts hinzugefügt, sondern Zug um Zug von dem Etwas etwas hinweggenommen, bis in seiner nackten Reinheit dasteht – nicht dieses oder dieses als das, was es ist, sondern jenes, das macht, daß dieses oder dieses das, was es jeweils ist, in Wahrheit ist.
Die Kraft des Denkens ist die Kraft des Negierens, freilich eines Negierens, das in Unruhe gehalten wird durch das, was allem Negieren unaufhebbar entgegensteht.
Doch fürchten Sie nicht, ich wollte…