Den Faden wieder aufnehmen
Von der Universalität des Textilen
von Sabine Maria Schmidt
Nackt werden wir geboren, nackt gehen wir. Dazwischen liegt ein Leben in und mit Schutzräumen, für den Körper ist das die Kleidung als permanente temporäre Transformation des Äußeren. Der Körper modelliert die Stoffe, die ihn zugleich verhüllen und überlagern können. Kleidung kann schützen, sichtbar und zugleich unsichtbar machen.
Kleidungsstücke und Stoffe sind seit Beginn her Thema der Kunst und Literatur, werden gemalt und akribisch genau beschrieben. Jüngst wurden in Augsburg die Kleidungsstücke von Alice und Arno Schmidt, einem der bekanntesten Schriftsteller der Nachkriegszeit und seiner Frau, ausgestellt.1
Während bis weit in die aktuelle Gegenwart Textilkunst eher als handwerkliches Gewerbe und weibliches Betätigungsfeld den Frauen zugeordnet galt, waren ursprünglich durchaus beide Geschlechter im textilen Gewerbe tätig.
Das Ehepaar, das nach Flucht und Vertreibung 1958 eine neue Heimat in der Lüneburger Heide fand, hatte seine gesamte Kleidung über Jahrzehnte hinweg penibel verwahrt und aufgehoben. Der einzigartige Nachlass vereint mehr als 1.000 Objekte aus sechs Jahrzehnten und dokumentiert eindrucksvoll deutsche Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Kleider werden zwar auch heute noch ikonisch zelebriert, aber meist – im Kontext von Fast Fashion – angehäuft und weggeworfen. Seltener akribisch aufbewahrt. Dabei sind textile Reste manchmal das Einzige, was bleibt.
Körpernähe
Körpernähe und Saugfähigkeit von Stoffen machen sie zu idealen Kontaktreliquien – wie das Schweißtuch der Veronika, der heilige Rock von Jesus Christus, das blutdurchtränkte Untergewand von Thomas Becket (1118 – 1170) oder Filmkostüme von Marilyn Monroe. Dorothee von Windheim griff das auf und übertrug Fotografien mittelalterlicher Schweißtücher der Veronika im…