Judith Elisabeth Weiss
defacement / refacement
Löschung, Leere, Verlust
Eine Fülle von theoretischen Texten und Ausstellungskatalogen zum Gesicht zeugt davon, dass selbst dann noch eine gewisse Klarheit über faciale Semantiken besteht, wenn von Gesichtsverlust, Auslöschung und Entleerung von Gesichtern die Rede ist. Selbst dann, wenn das Gesicht nicht mehr als solches oder nur noch vage erahnt werden kann, ist es einerseits privilegierter Ort von Bedeutung und Maß des menschlichen Ausdrucks schlechthin, andererseits Symptom einer Krisenhaftigkeit, die sich in der Befragung einer nicht mehr eindeutigen Identifizierbarkeit und Individualität offenbart.1 Die bildrhetorische Evozierung von Krisenhaftigkeit mit dem Anti-Porträt des Bildes vom Menschen zählt zum etablierten Repertoire künstlerischen Schaffens seit der Moderne. Wichtigste Initialzündung hierfür ist die Poetik der Leere Kasimir Malewitschs, an dessen Karriereende als Maler die berühmten Bauernbilder mit leeren Gesichtern aus den Jahren 1928-32 stehen. Malewitschs Zukünftler („Budetljanje“) weisen auf die Zerstörung der bäuerlichen Welt durch die Kollektivierung und symbolisieren mit dem Nicht-Gesicht den verschwindenden Menschen der Zukunft.
Das Anti-Porträt hat seither verschiedene Variationen der Entleerung, Löschung und des Entzugs von Gesicht hervorgebracht, die in der existentiellen Frage nach dem Menschenbild im Bild und dem Nicht-Bild des Menschen, in der politischen Frage nach seiner Qualität als res publica und in der analytisch-methodischen Frage nach den Möglichkeiten der Darstellung und Nicht-Darstellung münden. Retusche, Übermalung, Überzeichnung und Schichtung als Techniken der Akzentuierung, Pointierung, Verwandlung und Verfremdung etwa in der Serie Face Farce (1973/74) von Arnulf Rainer oder den Selbstbemalungen von Günter Brus (1964/93) sind entgegen ihrer vordergründigen Praxis mit dem Impetus der Freilegung verbunden. Ausradierung…